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Sensoren und Klimacomputer revolutionieren die Arbeit von Landwirten und Gemüsebauern. (Foto: Christian Merz)

Die Zukunft der Landwirtschaft

Die Digitalisierung hat die Arbeit von Landwirten und Gemüseproduzenten wesentlich verändert – zu ihren Gunsten. Am Beispiel des Hinwiler Gewächshauses der Beerstecher AG zeigt sich, was «Smart Farming» alles leisten kann.

Sensoren und Klimacomputer revolutionieren die Arbeit von Landwirten und Gemüsebauern. (Foto: Christian Merz)

Veröffentlicht am: 17.08.2018 – 14.03 Uhr

Mitte Juli in Hinwil. Die Hitze hat gerade eine Verschnaufpause eingelegt. Vor dem weiträumigen Gewächshaus der Beerstecher AG, direkt neben dem Eingang, sind Kästen mit Löchern und Luftschlitzen aufgereiht. Hin und wieder fliegt eine Hummel hinein, eine andere heraus. Hier, unweit der Kezo Kehrrichtverbrennungsanlage, hat der Dübendorfer Gemüseproduzent 2014 seinen zweiten Standort errichtet. Seit 2015 reifen auf mehr als 35’000 Quadratmetern diverse Tomaten, Peperoni, Radies, Nüsslisalat und andere Salate. Zu den Abnehmern gehören neben Coop, Migros und anderen Grosshandelsbetrieben auch die Dübendorfer SV Group und verschiedene Gastronomiebetriebe aus der Region.

Durch die Hygieneschleuse

Am Eingang empfängt mich Jan Kroon. Der Holländer in kurzen Hosen und Arbeitshemd ist seit einem halben Jahr Betriebsleiter in Hinwil. Ich folge ihm durch einen Korridor zur Hygieneschleuse. «Wir müssen aufpassen, dass keine Viren, Bakterien und Pilze eingeschleppt werden, die die Tomaten krank machen», sagt er. Erst nachdem wir durch ein Desinfektionsbecken für die Schuhe gewatet sind und unsere Hände in einem sensorgesteuerten Automaten gereinigt haben, öffnet sich das Drehkreuz – und wir sind drin.

 

 

Das Gewächshaus der Beerstecher AG ist eine Hightech-Anlage. Sie verfügt über modernste Klimatechnik. Überall sind Sensoren angebracht, die die Verdunstung, Temperatur und Luftfeuchtigkeit messen. Aus diesen Daten errechnet ein zentraler Klimacomputer die jeweils benötigte Wasser- und Nährstoffmenge, deren Zufuhr dann automatisch gesteuert wird.

Technik zur Unterstützung

Links von der Hygieneschleuse führt ein breiter Weg hinein ins Pflanzendickicht. Er teilt das Gewächshaus in zwei Hälften. Zu Abertausenden leuchten die Tomaten im grünen Blattwerk. In schnurgeraden Reihen wachsen die Pflanzen, dicht an dicht, fünf Meter in die Höhe. Die Luft ist kaum anders als draussen – gar nicht feucht-warm. «Die Pflanzen regulieren das Klima selbst», sagt Kroon. «Wir unterstützen nur den Prozess.»

Zügig geht er an den Reihen vorbei. Kleine Schilder verraten, welche Tomatentypen hier wachsen: Papeletto, Avalantino, Delisher, Monalisa und andere. Zwischen den Reihen sind Schienen verlegt, auf denen höhenverstellbare elektrische Arbeitsbühnen entlangfahren – geerntet wird immer noch von Hand. Alle 30 Meter zieht Kroon an einem herabhängenden Seil. Dann fährt ein Tor nach oben und gibt den Weg frei in die nächste von insgesamt vier Klimazonen. Jeder Pflanzentyp benötigt spezielle klimatische Bedingungen, um gut zu reifen.

 

Nach der dritten Zone erreichen wir die Paprika-Produktion. Unterwegs sind uns einige Arbeiter entgegengekommen, denen Kroon etwas Scherzhaftes auf Polnisch zugerufen hat. Zwischen Anfang April und Ende Oktober ist Hauptsaison im Gewächshaus. Dann arbeiten hier etwa 20 Leute. Plötzlich bleibt Kroon stehen. «Thomas, dein Besuch», ruft er rechts in eine Pflanzenreihe hinein.

In drei Metern Höhe steht Firmenchef Thomas Beerstecher auf einer Arbeitsbühne. Der Gemüsebauer trägt ebenfalls Arbeitsmontur. Sogleich lässt er die Bühne nach unten fahren.

Einsatz für optimales Klima

Beerstecher leitet den Betrieb in der vierten Generation. An dessen Hauptstandort in Dübendorf befindet sich neben grossen Gemüsefeldern ebenfalls ein Gewächshaus. «Aber das ist nicht so modern wie dieses hier», sagt der 52-Jährige beim Rundgang. Das könne man schon daran erkennen, dass das Hinwiler Gebäude deutlich höher angelegt sei. Bis zu den Giebeln sind es sieben Meter. So bleibt zwischen den Pflanzenspitzen und dem Dach ein Abstand von etwa drei Metern. «Das schützt die Pflanzen vor der direkten Strahlungswärme und sorgt durch die bessere Luftzirkulation für ein optimales Klima.»

 

 

Zudem wachsen die Pflanzen nicht direkt auf dem Boden, sondern aus einem Substratband aus Kokosfasern, das ohne Bodenkontakt unterhalb der Pflanzenreihen verläuft. Jede Pflanze ist mit einem schmalen weissen Röhrchen verkabelt, durch das nur so viel Wasser und Nährstoffe hineingeleitet werden, wie die Pflanze auch benötigt. Eine spezielle Waage misst permanent das Gewicht des Substrats, um den Flüssigkeitsverlust und so den Wasserbedarf festzustellen. «Früher musste man dazu den Finger in die Erde stecken. Die heutige Technologie erlaubt uns eine viel feinere Dosierung», sagt Beerstecher.

Gerade bei den Tomaten sei diese Vorgehensweise entscheidend. Deren Aroma hänge nicht allein vom Saatgut ab, sondern auch von einer punktgenauen Wasserversorgung und einer optimal eingestellten klimatischen Umgebung. «Gibt man Tomaten zu viel Wasser, werden sie wässrig und verlieren an Geschmack. Deswegen muss man sie kurz halten», sagt er.
 

Kamera misst die Temperatur

Beerstecher führt mich auf eine andere Arbeitsbühne. «Ich will Ihnen etwas zeigen.» Gemeinsam fahren wir einige Meter in die Tomatenpflanzung hinein. Dann lässt er die Bühne so weit hochfahren, dass wir bequem über das Pflanzendach hinwegschauen können. Er zeigt auf ein Gerät, das wie eine herkömmliche Überwachungskamera aussieht. «Damit messen wir die Temperatur auf den Blättern», sagt er. «Liegt sie 2 Grad unter der Aussentemperatur, ist das ein gutes Zeichen dafür, dass die Pflanzen aktiv sind und dass es ihnen gut geht.»

 

 

Dann lenkt Beerstecher den Blick auf das Dach. «Da oben befindet sich eine Wetterstation, die die Einstrahlungswerte der Sonne misst.» Je stärker die Strahlung, desto mehr Wasser werde den Pflanzen zugeführt. Zudem könne man die Dachluken in verschiedene Richtungen öffnen, um die äussere Luftströmung bei Bedarf zur Abkühlung zu nutzen.

Überwachungszentrale mit zwei Bildschirmen

Die Überwachung der Klima- und Bewässerungstechnik liegt in den Händen von Betriebsleiter Kroon. Wenn er nicht gerade durchs Gewächshaus geht, um die Pflanzen in Augenschein zu nehmen, sitzt er im angrenzenden Büro vor dem Computer. Auf zwei Bildschirmen lässt er sich detaillierte Grafiken anzeigen, die aus den Daten der Sensoren errechnet werden. Sie zeigen die Entwicklung von Temperatur, Feuchtigkeit, Flüssigkeitsverlust, Wasserabgabe und anderen Faktoren in den vier Klimazonen.

Der Klimacomputer, der die Rechenleistung bewerkstelligt, ist ein unscheinbarer hüfthoher, grauer Kasten mit etlichen Kabeln und flackernden Leuchtioden. Er befindet sich in einem Raum auf der anderen Seite der Werkhalle, eingeschlossen in einen Holzschrank.

Kein Computer ohne Mensch

Kroon stört sich am Begriff «Smart Farming»: «Das ist wieder so ein Modewort, das ein verzerrtes Bild gibt.» Beerstecher stimmt zu: Sein Betriebsleiter sei gerade kein passiver Beobachter. «Es braucht immer einen Experten wie ihn, der regelmässig eingreift, um das beste Klima für die verschiedenen Pflanzen zu erreichen.» Der Computer alleine sei dazu nicht imstande.

 

Zum «smarten» Gemüseanbau gehört für Beerstecher deshalb nicht nur die Automatisierung und Digitalisierung von Arbeitsschritten, sondern vor allem eine grosse Menge Know-how. So habe es Kroon geschafft, durch den gezielten Einsatz von Schlupfwespen die Ausbreitung von Blattläusen zu unterbinden. «Ganz natürlich, ohne Pestizide», sagt Beerstecher.

Sein Betriebsleiter ist auch für die Verteilung der Hummelkästen zuständig, die überall im Gewächshaus aufgestapelt sind. Die Hummeln sorgen für eine schonende und flächendeckende Bestäubung der Pflanzen. Wenn die Insekten älter geworden und nicht mehr so leistungsfähig sind, verbringen sie den Lebensabend in einer der Kästen am Eingang des Gebäudes und fliegen auf dem Gelände rings um das Gewächshaus herum.

Was noch alles «smart» ist

Ebenso «smart» ist für Beerstecher der Wasserkreislauf im Gewächshaus: Überschüssiges Wasser im Kokossubstrat werde abgeführt, per UV-Licht desinfiziert, gefiltert, mit Frischwasser aufbereitet und wieder zur Bewässerung eingespeist. Dabei handelt es sich grösstenteils um Regenwasser, das über das 35’000 Quadratmeter grosse Dach aufgefangen und in einem 10’000 Kubikmeter fassenden Wasserbecken gespeichert werde.

 

 

Auch den Bezug von Abwärme aus der Kezo zum Beheizen des Gewächshauses betrachtet Beerstecher als eine smarte, weil umwelt- und geldschonende Massnahme: «Wir heizen das ganze Jahr. Würden wir keine Abwärme nutzen, müssten wir mit circa 1,5 Millionen Liter Heizöl das Gewächshaus beheizen. Die Kezo profitiert, da sie die Abwärme aus der Stromproduktion nicht entsorgen muss, sondern verkaufen kann. Und wir profitieren, da wir die Energie sonst zu einem viel höheren Preis einkaufen müssten.»

Gewinnbringende Produktion

Beerstechers Betrieb ist auf die neueste Technologie angewiesen, um die Produktion gewinnbringend zu organisieren. Deswegen hat er clevere Maschinen angeschafft, die das geerntete Gemüse waschen und trocknen. Anschliessend sorgt ein Sensor für die Sortierung nach Farben. Auch die Verpackungsanlage, die die Beerstecher AG am Dübendorfer Hauptsitz einsetzt, erledigt viele Arbeitsschritte, die früher von Menschenhand ausgeführt worden sind. Und ihre dortigen Traktoren verfügen über GPS-Geräte, die eine derart exakte Fahrt durch die Pflanzreihen erlauben, wie sie zuvor nicht möglich gewesen ist.

 

 

Trotzdem: Thomas Beerstecher würde den Maschinen niemals blind vertrauen. «Es muss ihnen immer noch jemand sagen, was sie zu tun haben. Die Maschinen führen nur aus, was ihnen der Gärtner mit dem grünen Daumen vorher eingibt.»


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