Dieser Beitrag wurde in der Verlagsbeilage «50Plus» veröffentlicht, die am 4. Oktober mit dem «Zürcher Oberländer» und dem «Anzeiger von Uster» erschienen ist.
Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Hat sich dadurch auch die Rolle der Grosseltern verändert?
Esther Gabriel: Ja. Die Grosseltern werden älter, sind länger fit und oft auch noch berufstätig und sehr engagiert. Zudem hat sich das klassische Rollenbild, dass der Mann arbeiten geht und die Frau zu Hause bleibt und sich um den Haushalt und die Kinder kümmert, ebenfalls verändert. Dadurch werden die Kinder öfter zusätzlich von anderen Personen betreut – auch von Grosseltern.
Gabi Senn: Grosseltern sind nicht einfach nur alte Leute. Sie unternehmen viel, reisen oder treiben Sport. Grosseltern sind heutzutage meist sehr beschäftigt und warten nicht nur darauf, endlich die Enkelkinder hüten zu dürfen.
Der Anspruch nach externer Betreuung steigt. Sind da die Grosseltern die naheliegendste und einfachste Lösung?
Senn: Es ist sicherlich die günstigste Lösung. Denn meistens wird die Betreuungsarbeit der Grosseltern nicht monetär vergütet.
Gabriel: Für viele Paare ist es aber gar nicht der einfachere Schritt, und sie entscheiden sich lieber für eine Fremdbetreuung. Gründe dafür können sein, dass man sein Kind in eine Umgebung mit anderen Kindern geben will, etwa in eine Kindertagesstätte, dass man ein angespanntes Verhältnis zu den Eltern hat oder mit deren Erziehungsstil nicht einverstanden ist.
Werden höhere Ansprüche an die Kinderbetreuung gestellt als früher?
Gabriel: Grundsätzlich ist die Erwartung oder das Wissen, was ein Kind an Förderung oder Unterstützung braucht, gestiegen, und auch die Bedürfnisse der Kinder werden stärker wahrgenommen. Das wird vermehrt auch von den Betreuungspersonen erwartet.
Senn: Professionelle Ansprüche werden aber vor allem an Kitas gestellt. Zentral ist: Die Eltern der Kinder sind für deren Erziehung zuständig und nicht die Grosseltern.
Wie kann man dafür sorgen, dass bei Eltern und Grosseltern keine unterschiedlichen Vorstellungen über die Betreuung der Enkelkinder herrschen?
Senn: Erwartungen müssen offengelegt werden. Eltern und Grosseltern sollten darüber sprechen, wie es werden soll, wie man es gerne hätte und was möglich sein wird. Neben den Erwartungen gibt es aber auch Bedürfnisse, und diese gilt es wahrzunehmen und zu respektieren. Das gelingt, indem man gut miteinander kommuniziert, einander vertraut und es offen anspricht, wenn man nicht gleicher Meinung ist.
Gabriel: Eltern sowie Grosseltern befinden sich in einem neuen Rollenverständnis, das zuerst geklärt werden muss. Grosseltern nehmen ihren Kindern gegenüber plötzlich eine andere Rolle ein. Das bedeutet, sie treten einen Schritt zurück und unterstützen die Eltern vielmehr, anstatt zu entscheiden und ungefragt Tipps zu geben.
Während die Eltern mehr eingebunden sind und mehr organisieren müssen, haben Grosseltern oft etwas mehr Zeit und Gelassenheit.
Esther Gabriel, Abteilungsleiterin Beratung, Kinder- und Jugendhilfezentrum (kjz) Rüti
Man sollte also schon früh klären, welchen Weg man gemeinsam beschreiten will?
Gabriel: Ja, im Idealfall unterstützen die Grosseltern den Weg der Eltern. Und schlagen nicht einen eigenen Weg ein, als hätten sie selbst nochmals eigene Kinder. Bei den Grosseltern dürfen jedoch gewisse Dinge schon ein wenig anders ablaufen.
Senn: Ab etwa zwei Jahren können Kinder unterscheiden, was bei den Grosseltern erlaubt ist und was bei den Eltern. Kleinere Differenzen darf es sicherlich geben. Aber nur so weit, dass die Eltern damit einverstanden sind.
Wie können die Grosseltern die frischgebackenen Eltern in den ersten Wochen nach der Geburt unterstützen?
Senn: Es ist immer sehr hilfreich, dem jungen Paar Unterstützung im Wochenbett anzubieten, wie zum Beispiel ihnen etwas abzunehmen, eine vorgekochte Mahlzeit vorbeizubringen oder zu fragen, wo sie Unterstützung brauchen.
Gabriel: Man kann die Eltern auch durch Verständnis unterstützen. Es gibt Eltern, die ihr Kind in den ersten Tagen oder Wochen ohne Probleme abgeben, und andere, die das nicht wollen. Gerade für Grosseltern kann das sehr kränkend sein. In diesem Moment braucht es ein wenig Grösse und Akzeptanz.

Wie kann man später für eine gute Beziehung zu den Enkelkindern sorgen?
Senn: Wenn Kinder gefragt werden, welche tollen Dinge sie mit ihren Grosseltern erleben, dann berichten sie oft vom Spielen. Damit kann eine Beziehung sehr gut gelebt werden. Dass muss nicht immer das klassische Spielen sein. Für Vorschulkinder ist auch das Mithelfen im Haushalt oder beim Alltäglichen ein Erlebnis.
Gabriel: Meist ist es das Exklusive, das Grosseltern anbieten können. Während die Eltern mehr eingebunden sind und mehr organisieren müssen, haben Grosseltern oft etwas mehr Zeit und Gelassenheit. Wenn sie es aber mit den Enkeln nur lustig haben wollen und dabei die Eltern ignorieren, kann das zu Problemen führen. Die Eltern sollten einverstanden sein, wie die Grosseltern mit den Enkelkindern umgehen. Das stärkt auch die Beziehung zu den Kindern.
Die Rahmenbedingungen sollten stimmen.
Gabriel: Nicht nur die Rahmenbedingungen. Auch das Beziehungsgeflecht. Man sollte einen gemeinsamen Boden haben, auf dem man aufbauen kann.
Senn: Eine gute Beziehung zu den eigenen Kindern und den Grosskindern zu haben, ist eine grosse Ressource für die Familie. Wir beraten immer häufiger Eltern, die psychisch stark belastet sind. Daher ist es eine Stärkung der Resilienz, wenn die Grosskinder eine gute Beziehung zu den Grosseltern haben.
Was, wenn einen etwas am Erziehungsstil stört? Wie kann man Kritik anbringen, ohne böses Blut zu schaffen?
Gabriel: Zentral ist die Frage, wie relevant die Sache ist. Als Grosseltern sollte man sich überlegen: Was ist wirklich wichtig, und was kann gravierende Folgen für ein Kind haben? Da braucht es auch eine gewisse Grosszügigkeit gegenüber den Eltern. Kritik an den eigenen Kindern tut meist sehr weh. Und vielleicht steckt eine Überlegung dahinter, warum die Eltern das so machen. Erst sollte man versuchen zu verstehen, bevor man kritisiert.
Senn: Wenn man wirklich etwas ansprechen will, muss man den richtigen Moment erwischen. Das ist sicher nicht dann, wenn man aufgewühlt oder emotional ist. Es hilft, sich zu verabreden und dann auf einer sachlichen Ebene miteinander zu sprechen. Vielleicht kann man die Kritik auch in eine Frage verpacken. Man darf aber nie vergessen: Als Grossmutter oder Grossvater ist man nicht für die Erziehung der Enkel verantwortlich. Und je nachdem ist es auch einfach Ansichtssache. Es gibt viele verschiedene Meinungen zu bestimmten Themen, und viele davon sind auch gut.
Die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Grosseltern müssen geklärt und immer mal wieder besprochen werden.
Gabi Senn, Mütter- und Väterberaterin, Kinder- und Jugendhilfezentrum (kjz) Rüti
Was für Möglichkeiten gibt es für Grosseltern, die sich unsicher im Umgang mit Babys und Kleinkindern fühlen?
Gabriel: Als Vorbereitung auf das Hüten kann man im Vorfeld die junge Familie einige Tage begleiten. Es hilft, in der Anwesenheit der Eltern normale Handreichungen zu machen, dem Kind zu essen zu geben oder es zu wickeln. Das gibt Sicherheit. Kinder haben zudem sehr gerne Rhythmus. Daher ist es sinnvoll, den Tagesablauf der Eltern so gut wie möglich zu kennen.
Senn: Zusätzlich gibt es explizite Kurse für Grosseltern, in denen die Pflege und der Umgang mit den Kindern nochmals aufgefrischt werden können. Für das richtige Verhalten in einer Notfallsituation eignen sich die Notfallkurse der Samaritervereine. Selbstverständlich dürfen Grosseltern die Eltern auch in eine Mütter- und Väterberatung begleiten.
Welche Abmachungen sollten zwischen den Eltern und den Grosseltern bezüglich des Hütens getroffen werden?
Senn: Die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Grosseltern müssen geklärt und immer mal wieder besprochen werden. Vielleicht ändert sich das Arbeitspensum der Eltern, oder es kann sein, dass es den Grosseltern zu viel wird, sie weniger oder gar nicht mehr hüten möchten. Solche Veränderungen gilt es rechtzeitig anzukündigen. Damit man eine andere Lösung suchen kann.
Gabriel: Neben den Erwartungen müssen auch die Bedürfnisse klar sein und besprochen werden. Alles, was vertrauensbildende Massnahmen sind, wie etwa gute und ehrliche Kommunikation, ist hilfreich. Alles, was dem Kind den Übergang vom einen zum anderen Ort erleichtert, soll gefördert werden.
Senn: Das Ausdrücken der Wertschätzung ist für eine gute Beziehung sicherlich auch sehr förderlich. Man kann den Grosseltern immer mal wieder sagen, wie froh man über die Betreuungsarbeit ist und wie sehr die Kinder Freude haben. Das darf auch gegenseitig stattfinden. Weil es für viele Grosseltern ebenfalls schön ist, mit ihren Grosskindern Zeit zu verbringen. Und wenn es zwischen Grosseltern, Eltern und Enkeln funktioniert, ist das ein Gewinn für alle.
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