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Das Haberstal in Windlach in der Gemeinde Stadel: Hier soll das Schweizer Atom-Endlager entstehen. Foto: Keystone

Nagra will Schweizer Atommüll in Nördlich Lägern entsorgen

Am Samstagnachmittag wurden die Grundstücksbesitzer von der Nagra über das Tiefenlager in ihrer Region informiert. Sie sind schockiert.

Das Haberstal in Windlach in der Gemeinde Stadel: Hier soll das Schweizer Atom-Endlager entstehen. Foto: Keystone

Veröffentlicht am: 10.09.2022 – 14.38 Uhr

Wie die Tamedia-Zeitungen bereits am Mittwoch berichteten, will die Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) den Atommüll in der Nähe der Zürcher Gemeinde Stadel in Nördlich Lägern entsorgen. Am Samstagnachmittag hat sie die Grundstücksbesitzer in der Region informiert. Bisher ging die Bevölkerung dort davon aus, dass es das Zürcher Weinland treffen wird - seit Jahren der Favorit der Nagra.

Das Zürcher Weinland hatte sich praktisch schon damit abgefunden, dass die Nagra ihren Standort für ein Tiefenlager vorschlagen wird. Denn vor sieben Jahren teilte sie mit, Nördlich Lägern habe im Vergleich zum Weinland deutliche Nachteile.

«Ein Tiefenlager in Nördlich Lägern - diese Vorstellung ist schon sehr schockierend», sagt Astrid Andermatt, ehemalige SP-Grossrätin aus Lengnau, die sich seit Jahren im Verein «Nördlich Lägern ohne Tiefenlager», kurz Loti engagiert. Und jetzt dieser Schwenker. «Die Nagra hat offenbar mitten im Verfahren die Kriterien anders gewertet», sagt Andermatt. «Das wirkt unseriös.»

Vergangene Woche äusserte sich bereits die Bäuerin und zweifache Mutter Ramona Keller. Im Haberstal, das zu ihrem Hof gehört, sollen die riesigen Oberflächenanlagen für das Lager hinkommen. Bisher war sie überzeugt, dass sie nicht betroffen sein wird. Nun setzt der Schock langsam ein. Die Situation sei noch sehr surreal. Mitte Woche sagte sie dem Tages-Anzeiger, dass sie den Hof mit ihrer Familie werde verlassen müssen. «Wir können ja nicht mit einem Tiefenlager im Garten leben.»

Frage der Entschädigung

Für Ramona Keller und weitere Grundstücksbesitzer wird sich jetzt auch die Frage der Entschädigung stellen. Denn der Bau eines Lagers mag erst in mehr als zehn Jahren beginnen, nach der Bewilligung des Bundesrates und einer allfälligen Volksabstimmung. Aber die Immobilien im Gebiet werden schon vorher an Wert verlieren. Wahrscheinlich schon Montag, wenn die Nagra den Entscheid der Öffentlichkeit bekannt gibt.

Investitionen in ihre Häuser lohnen sich dann nicht mehr, ein Verkauf wird schwierig. Was sollen die Eigentümer dann tun? «So vieles ist unklar», sagt die Grüne Zürcher Kantonsrätin Wilma Willi, die ebenfalls ein Haus in der Nähe besitzt. «Es fällt jetzt ein unvorstellbar grosser Brocken auf unsere Füsse. Die Schweiz darf uns damit nicht alleine lassen», sagt sie.

(Catherine Boss)

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Atommüll-Endlager

Das geologische Tiefenlager für radioaktive Abfälle soll in der Region Nördlich Lägern (ZH) entstehen. Diesem Standort wurde gegenüber der Region Jura Ost (Bözberg, AG) und Zürich Nordost (Weinland, ZH/TG) der Vorzug gegeben. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Weshalb braucht es ein Tiefenlager?

Atommüll entsteht bei der Stromproduktion in Atomkraftwerken (AKW), aber auch in Medizin, Forschung und Industrie. An der Erdoberfläche sollten hochradioaktive Abfälle nicht gelagert werden, weil niemand weiss, wie sich Gesellschaft und Erdoberfläche in den kommenden Jahrtausenden verändern werden, vor allem was Kriege oder die Klimaerwärmung betrifft. Als sicherste Lösung gilt das Einlagern in mehreren hundert Metern Tiefe. In der Schweiz eignen sich dabei vor allem die Gesteinsschichten aus dem sogenannten Opalinuston – ein grauschwarzer Schieferton.

Was genau soll im Boden gelagert werden?

Eingelagert werden sollen vor allem hochradioaktive Brennelemente aus AKW. Dazu kommen schwach- und mittelradioaktive Abfälle wie kontaminierte Schutzkleidung, Rohre und Isolationsmaterialien der AKW, sowie Abfälle aus Forschung, Medizin und Industrie. Der Bund rechnet damit, dass bis zum Jahr 2075 ein Abfall-Volumen von rund 90'000 Kubikmetern anfällt.

Wie gefährlich sind die Abfälle?

Von diesen Abfällen geht eine unmittelbare Gefahr für Mensch und Umwelt aus, und dies auch noch für Zehntausende von Jahren. Atomarer Abfall ist schon in kleinsten Mengen krebserregend und schädigt das Erbgut.

Wie lange soll dieses Lager in Betrieb sein?

Ein Tiefenlager muss die Abfälle für Zehntausende bis Hunderttausende von Jahren sicher einschliessen, bis sie zur Unschädlichkeit zerfallen sind. Plutonium-239 beispielsweise, das unter anderem für den Bau von Atomwaffen genutzt wird, braucht mehr als 24'000 Jahre, bis die Hälfte der radioaktive Atomkerne zerfallen ist (Halbwertszeit).

Wo lagert der Schweizer Atommüll heute?

Der bisher angefallene Atommüll liegt derzeit noch in Hallen an der Erdoberfläche – bei den Kernkraftwerken selber und in zwei Zwischenlagern im Kanton Aargau.

Weshalb wartet die Schweiz nicht auf neue Technologien?

Mit sogenannter Transmutation, auch Kernumwandlung genannt, könnten sich langlebige Radionuklide theoretisch in kurzlebige verwandeln lassen. Statt mehrere zehntausend Jahre würden einige Abfälle also «nur» noch mehrere hundert Jahre strahlen. Gemäss dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) ist dies jedoch (noch) kein realistisches Szenario. Und selbst wenn Transmutation dereinst im grossen Stil betrieben würde: Es blieben immer noch langlebige Abfälle übrig, die in ein Tiefenlager gebracht werden müssten.

Was machen andere Länder mit ihrem Atommüll?

In Europa werden derzeit rund 60'000 Tonnen hochradioaktiver Abfall aus Atomkraftwerken gelagert, in der Regel – wie in der Schweiz – in überirdischen Anlagen. Bis heute ist weltweit kein einziges Endlager für stark strahlende Abfälle in Betrieb. Am weitesten ist Finnland: Auf der Insel Olkiluoto wird in bis zu 500 Metern Tiefe an einem Endlager gebaut. 2024 oder 2025 soll die Einlagerung beginnen. Schweden und Frankreich haben definitive Standorte bestimmt. (SDA)


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