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Jugendliche wollen ab 16 Jahren schon mitbestimmen, Hanspeter Amstutz hat seine Meinung dazu. Foto: Züriost/Dominik Gut

«Stimmrechtsalter 16 setzt besseren Geschichtsunterricht voraus»

Er war einst der höchste Lehrer im Kanton Zürich und kämpfte im Bildungsrat immer wieder gegen Reformen: der Fehraltorfer Hanspeter Amstutz. Jetzt äussert sich der 75-Jährige zur kantonalen Abstimmung über das Herabsetzen des Stimm- und Wahlrechtsalters auf 16 Jahre.

Jugendliche wollen ab 16 Jahren schon mitbestimmen, Hanspeter Amstutz hat seine Meinung dazu. Foto: Züriost/Dominik Gut

Veröffentlicht am: 04.05.2022 – 07.00 Uhr

Ein Stimmrechtsalter 16 setzt die optimistische Annahme voraus, dass unsere Volksschüler mit einem Rucksack voll geschichtlich-politischer Grundkenntnisse die Sekundarschule verlassen. Doch ist dies tatsächlich der Fall?

Geschichtliche Bildungsinhalte sind eingestreut in ein Sammelfach, wo für Geschichte höchstens anderthalb Wochenlektionen zur Verfügung stehen. An den meisten Schulen herrscht Unklarheit über die Verbindlichkeit der Bildungsziele, da der Lehrplan mit seiner Fülle an Möglichkeiten den Blick aufs Wesentliche erschwert.

Fehlende Grundkenntnisse

Wieweit 16-Jährige für verantwortungsvolle Entscheide auf politischer Ebene wirklich reif sind, bleibt umstritten. Sicher ist hingegen, dass sie auf diese Aufgabe besser vorbereitet werden müssten, als dies zurzeit der Fall ist.

Ohne Grundkenntnisse über die neuere Geschichte unseres Landes fehlen wesentliche Elemente für das Verstehen politischer Zusammenhänge. Da können auch die attraktiven Lernangebote des Aarauer Zentrums für Demokratie die breite Lücke kaum füllen.

Die Vermittlung geschichtlicher Bildungsinhalte besteht nicht in einem beflissenen Abhaken unzähliger Ereignisse zur Erfüllung eines umfangreichen Stoffprogramms. Nachhaltigkeit wird nur erreicht, wenn man sich an Meilensteinen epochaler Entwicklungen der schweizerischen und europäischen Geschichte orientiert.

Meilensteine des 19. und 20. Jahrhunderts zur Orientierung

So kann die Industrialisierung im 19. Jahrhundert mit den Pionierleistungen von Schweizer Unternehmern aufzeigen, welche gesellschaftlichen Veränderungen die gesteigerte Wirtschaftskraft mit sich brachte.

Mit Einblicken ins Leben von Arbeiterfamilien in den Mietskasernen werden aber auch die Schattenseiten des Maschinenzeitalters den Schülerinnen und Schülern vor Augen geführt. Es tauchen Fragen zur sozialen Gerechtigkeit und zur Bedeutung des technischen Fortschritts auf.

Zu den geschichtlichen Meilensteinen des 20. Jahrhunderts gehören sicher die Vorgänge rund um die Machtergreifung der Nationalsozialisten in den Dreissigerjahren.

Jugendliche sind betroffen, wenn sie sehen, mit welch teuflischen Machenschaften Hitlers Anhänger die politische Opposition ausgeschaltet haben. Inszenierte Massenveranstaltungen, systematische Hetze gegen Andersdenkende, Anzünden des Reichstags und Ausschaltung des demokratischen Rechtsstaats durch das Vollmachtregime Hitlers lassen die Schüler erkennen, dass es in der aktuellen Gegenwart erschreckende Parallelen gibt.

Diskussionen anregen

In einem lebendigen Geschichtsunterricht kommen Themen zur Sprache, die sich bezüglich inhaltlicher Attraktivität und politischer Relevanz für offene Diskussionen in der Klasse eignen.

Jugendliche erkennen dabei, dass zentrale Werte unseres Staates im Lauf der letzten 200 Jahre hart errungen werden mussten. Die AHV der Grosseltern ist keine Selbstverständlichkeit. Sie ist entstanden aus den Möglichkeiten einer starken Wirtschaft und der Einsicht einer politischen Mehrheit in unserem Land, dass möglichst alle vom steigenden Wohlstand profitieren sollen.

Spannende Geschichten 

Das erwachte politische Interesse eines Teils unserer Jugend darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Volksschulabgänger sich erst durch starke didaktische Impulse für politische Fragen erwärmen können.

Faktenorientierter narrativer Geschichtsunterricht, unterstützt durch aussagekräftiges Bildmaterial, hat sich dabei als effizient erwiesen. 14-Jährige gehen voll mit, wenn sie in einer spannenden Erzählung das Schicksalhafte historischer Ereignisse für den einzelnen Menschen oder für ganze Völker erfahren. Vermittelt der Erzähler dabei den Eindruck, er stehe ganz in einer historischen Epoche drin, ist der Lerneffekt am grössten.

Man trägt viel eher zu etwas Sorge, das man kennt. Dazu gehört auch unser Staatswesen und dessen politische Einrichtungen. Geschichte befasst sich mit dem Werdegang gesellschaftlicher Werte und dem Ausgleich von Interessen.

Deshalb braucht es einen gewissen Aufbau mit einprägsamen Vorstellungen, um politische Entwicklungslinien zu erkennen. Doch dieser elementare systematische Aufbau ist in den meisten Sekundarklassen kaum noch zu erkennen.

Unterricht aufwerten

Narrative Konzepte geniessen in der aktuellen Didaktik leider wenig Kredit, was den Zeitdruck für die Lehrpersonen verschärft. An vielen Schulen werden Jugendliche angehalten, mit entdeckendem Lernen sich geschichtliches Wissen selbst anzueignen.

Das kann zu teils grossartigen Resultaten führen, doch übers Ganze gesehen kommt man so viel weniger weit.

Mit dem Wegfall einer aufbauenden Darstellung unserer neueren Geschichte haben Jugendliche ohne gymnasiale Ausbildung offensichtlich ein Bildungsmanko bei den politischen Grundkenntnissen. Bevor das politische Mündigkeitsalter vor verschoben wird, müsste erst einmal der Geschichtsunterricht in der Volksschule aufgewertet werden.

(Hanspeter Amstutz)


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