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Am Montag lud das Frauenstreik-Kollektiv Zürcher Oberland in den Ustermer Stadtpark zum «Fraulenzen» , Im Ustermer Stadtpark haben sich Frauen gemeinsam im Liegestuhl gesonnt. Fotos: Christian Merz

«Ich gehe seit 38 Jahren auf Demos und kann nicht glauben, wie wenig passiert ist»

Am Montag lud das Frauenstreik-Kollektiv Zürcher Oberland in den Ustermer Stadtpark, um gemeinsam Pause zu machen. Ein Besuch zeigte: Auch auf Liegestühlen kann heftig diskutiert werden.

Am Montag lud das Frauenstreik-Kollektiv Zürcher Oberland in den Ustermer Stadtpark zum «Fraulenzen» , Im Ustermer Stadtpark haben sich Frauen gemeinsam im Liegestuhl gesonnt. Fotos: Christian Merz

Veröffentlicht am: 14.06.2021 – 16.35 Uhr

« I care, she cares, we care »  tönt es aus der mitgebrachten Boombox. Das Lied der Winterthurer Rapperin Big Zis passt sehr gut zu einem grossen Thema des diesjährigen Frauenstreiks: der Care-Arbeit. Damit ist Betreuungsarbeit, etwa in Krankenhäusern, Heimen, Krippen, aber auch zu Hause gemeint. Care-Arbeit ist oft mässig oder ganz unbezahlte Arbeit.

Viele der Frauen, die am Montag gegen elf Uhr in Uster Liegestühle aufstellen und Spruchbanner drapieren, seien selbst im Care-Sektor tätig, sagt die 25-jährige Menga Thoma. « Die Pandemie hat offengelegt, wie abhängig unsere Gesellschaft von  bezahlter und unbezahlter Care- Arbeit ist. Gesellschaftliche Ungleichheiten und damit verbundene starre, binäre Rollenbilder schlagen sich auch in den  Lohnverhältnisse n  in der Care-Arbeit nieder . Das muss sich ändern. »

Eindrückliche Zahl

Der Aufruf, im Ustermer Stadtpark gemeinsam Pause zu machen, wurde vom Frauenstreik-Kollektiv Zürcher Oberland organisiert. Die Pause in Uster war eingebettet in Demonstrationen und Aktionen überall in der Schweiz. Eine Bewilligung habe man nicht, die Stadtpolizei sei aber informiert und einverstanden, wenn es nicht zu gross würde, sagt Thoma.

Zu Beginn sitzen fast zehn Frauen auf der Wiese, gegen Ende um 13 Uhr sind es fast 30. Die Grenzen zwischen Mitdemonstrantinnen und interessierten Passantinnen verschwimmt, und das ist auch im Sinne der Veranstaltung. Jede und Jeder ist willkommen, so die Frauen. Es gehe um Solidarität.

Der Ustermer Simon Weber bleibt mit seinem Kind kurz stehen. « Dieses Plakat beschäftigt mich » , sagt er und zeigt auf einen Schriftzug: « Yes we care! Der Wert unbezahlter Arbeit von Frauen* beträgt 248 Millionen Franken pro Jahr » . Weber sagt, als Vater wisse er, dass diese Arbeit unterschätzt wird, aber diese schiere Zahl sei auch für ihn eindrücklich.

Stadt-Land-Realitäten

Ein anderer Mann in Alnatura-Arbeitskleidung reagiert ebenfalls auf die Aktion. Freudig steht er auf und tanzt zum Lied « Respect »  von Aretha Franklin. Der Tanzende heisst Carlos Peters und kommt aus Dübendorf. Er sagt, er finde es wichtig, dass die Frauen hier für ihre Rechte einstehen. In seinem Herkunftsland Brasilien gebe es immer noch erschreckende Fälle, in denen vergewaltigte Mädchen vor Gericht für die rechtliche Anerkennung ihrer Kinder kämpfen müssten. « Wenn die Frauen hier nicht dranbleiben, kann das auch hier wieder so werden. Es ist wichtig, immer weiterzukämpfen! »

Immer ein bisschen kämpfen muss auch Christina Krummenacher aus Dürnten. Sie sagt: « Auf dem Dorf ist es heute noch provokant, in der SP zu sein. Das kann man sich hier in Uster kaum vorstellen. »  Deshalb sei es so wichtig, dass sich die Feministinnen im Zürcher Oberland vernetzt hätten. « Jede allein in ihrem Dorf geht unter. Gemeinsam werden wir gehört. »

« Arbeitest du für Erdogan? »

Was auffällt: Der feministische Streik in Uster ist mehrheitlich weiss und mitteleuropäisch. Doch wie gelingt es, dass mehr Stimmen mit Migrationsgeschichte in die Bewegung fliessen können, damit diese noch repräsentativer für die realen Probleme aller Frauen wird?

Saule Yerkebayeva beschäftigt diese Frage ebenfalls. Die Ustermerin ist im Vorstand der Zürcher Organisation Solinetz. Aus Kasachstan in die Schweiz migriert, setzt sie sich nun für die Rechte von Geflüchteten ein. Sie sagt, geflüchtete Frauen würden oft doppelt diskriminiert.

Sie sagt: « Das Hauptproblem der Vernetzung ist wohl fehlendes Vertrauen. Ich habe mal mit einer Frau auf Türkisch gesprochen und sie hat mich direkt gefragt, ob ich für Erdogan arbeite. »  Die Angst vor dem türkischen Präsidenten und anderen Autokraten sei wohl auch hier sehr präsent. Um das Vertrauen zu gewinnen, sei es wichtig, dass Frau am Ball bleibe und immer wieder das Gespräch suche.

Weiter hinten auf der Wiese im Schatten sitzen drei ältere Frauen, deren graue Haare im Takt zu Missy Elliotts « Work it »  im Rhythmus mitwippen. Neben einer liegt ein Buch im Gras: « Simone de Beauvoir und die Liebe in Freiheit. »  Die drei Frauen wollen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen, sind aber sehr an einem Gespräch interessiert. Eine von ihnen, die mit dem Buch, trägt einen schwarzen Hut. Sie sagt: « Ich gehe seit 38 Jahren auf Demos und kann nicht glauben, wie wenig passiert ist. »

Die Atmosphäre auf der Wiese ist entspannt, mit der Musik teilweise sogar ausgelassen. Doch bei der Frage, woran es denn liege, dass die Frauen nach Jahrzehnten von Demonstrationen und Streiks immer noch benachteiligt sind, wird die Diskussion zwischen den drei Frauen lauter und schneller. « Es liegt an der Liebe. Die Frauen schwächen sich durch ihre Liebe zu den Männern und zu ihren Kindern. Denn aus Liebe geben wir nach, wo wir eigentlich auf unsere Rechte beharren müssten » , so die Hutträgerin.

Die Freundin erwidert: « Das Problem sind die Lohnunterschiede. Solange Frauenberufe schlechter bezahlt sind, wird bei Paaren weiterhin die Frau mehr Arbeitszeit reduzieren als der Mann und hat dann im Alter weniger Rente. »  Es bräuchte eine Belohnung für die Arbeit zu Hause, sind sie sich einig. « Vielleicht eine Art AHV-Gutschein fürs Alter? » , schlägt die Dritte vor. Alle drei seien sie vor zwei Jahren am grossen Frauenstreik gewesen. « Das war so toll » , sagt die erste mit dem Hut. « Alle solidarisierten sich miteinander. Junge und alte Frauen. Genau das brauchts. So müssen wir weitermachen. »


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