Übersehen Bundesrat und die Beschaffungsbehörde Armasuisse beim grössten Schweizer Rüstungsprojekt aller Zeiten einen entscheidenden Punkt, die sogenannte Lebensdauer?
Vier Kandidaten aus Deutschland, Frankreich und den USA kämpfen derzeit um den 6-Milliarden-Auftrag der Schweizer Luftwaffe. Aussichtsreich im Rennen ist dabei die amerikanische Super Hornet von Boeing. Der erprobte Jet ist dem heutigen Flugzeug der Schweizer Luftwaffe sehr ähnlich; er ist, grob gesagt, einfach ein bisschen grösser. Und moderner.
Die Piloten könnten quasi im Handumdrehen auf das neue Modell umgeschult werden, wirbt Hersteller Boeing. Experten sagen, dass dies zutreffe. Doch die Medaille hat auch eine Kehrseite: Recherchen dieser Zeitung zeigen, dass mit der neuen Super Hornet in 15 bis 20 Jahren ähnliche Probleme zu erwarten wären, wie sie bei der alten F/A-18 heute bestehen. Dies, wenn keine rechtzeitigen Vorkehrungen getroffen werden.
Grobe Strukturprobleme
Bekannt ist, dass die heutigen F/A-18 teilweise gravierende Risse in der tragenden Flugzeugstruktur aufweisen. Diese Mängel wurden und werden technisch aufwendig und für viel Geld behoben. Trotz Titanverstärkungen, die bereits beim Bau der Jets in den 1990er-Jahren auf Geheiss der Schweiz eingebaut wurden, weisen die Flugzeuge viel früher als erwartet Ermüdungserscheinungen auf. Diese werden unter anderem durch Vibrationen hervorgerufen, deren Auswirkungen während der Fertigung seinerzeit nicht getestet worden waren.
Die letzten öffentlich thematisierten Mängel an den Schweizer Jets traten 2018 und 2019 auf. Damals entdeckten Mechaniker an einem Flugzeug einen Bruch am Scharnier einer Landeklappe. Alle dreissig Jets wurden daraufhin überprüft. Fünf F/A-18 konnten wegen dieses Problems vorübergehend nicht mehr eingesetzt werden.
Im April 2019 wurden bisher nicht bekannte Probleme aus der Produktionszeit entdeckt, die die Verfügbarkeit der F/A-18-Flotte reduzierten. Mehr Probleme als gedacht traten im hinteren Flugzeugbereich auf, unter anderem, weil die beiden Seitenruder viel stärker vibrieren als angenommen.
Die neue Super Hornet ist ausgiebigen Belastungstests ausgesetzt worden. An vielen Punkten der Flugzeugzelle wird dabei die Struktur so lange bewegt, bis Risse oder gar Brüche auftreten (Bild oben).
Das Resultat dieser Tests müsste bei Schweizer Experten und Flugingenieuren die Alarmglocken schrillen lassen. Nach 12’000 Stunden solcher Belastungstests stellte Boeing knapp 2600 Risse fest. Entsprechende Dokumente sind öffentlich verfügbar. Das sind viel mehr Risse, als bei der alten F/A-18 auftraten, die mit Schweizer Titanverstärkungen getestet wurde. Die alte F/A-18 wies bei vergleichbaren Tests durch die Schweizer Rüstungsbehörde rund 500 Risse auf, wie Armasuisse gegenüber dieser Zeitung bestätigt.
Schweiz belastet Jets stärker
Dies sei alles kein Problem, antwortet Hersteller Boeing auf Anfrage. Die modifizierte Super Hornet, wie sie der Schweiz angeboten werde, sei neuerdings auf 10’000 Flugstunden ausgelegt. Dies würde für eine 30-jährige Betriebsdauer, wie sie von der Schweiz im Wettbewerb verlangt wird, locker reichen. Die Schweizer Jets werden während rund 200 Flugstunden pro Jahr eingesetzt. Damit könnten die Super Hornets in der Schweiz gar 50 Jahre lang fliegen. Doch die Rechnung geht anders.
Denn schon länger bekannt ist, dass eine Flugstunde der Schweizer Luftwaffe keineswegs mit einer Flugstunde in den USA gleichzusetzen ist. Als Standard gilt, dass die Anzahl Flugstunden, wie sie die USA im Fall der Super Hornet angeben, durch 3 geteilt werden muss. Dies beweist eine Dokumentation des Schweizer Rüstungskonzerns Ruag aus dem Jahr 2008, die dieser Redaktion vorliegt. Die Kernaussage: Die Art und Weise, wie die Schweiz den Jet einsetzt, ist ungefähr dreimal belastender, als dies bei der US Navy der Fall ist.
Dies, weil die Jets hierzulande öfter und dauerhafter starken Belastungen ausgesetzt sind: Sie verbringen aufgrund des kleinen Luftraumes und des intensiven Pilotentrainings nur wenig Zeit im geräteschonenden Geradeausflug. Während die Streitkräfte der USA die Lebensdauer ihrer Super Hornets bei bis zu 10’000 Flugstunden ansetzen, zeigen die Kampfflugzeuge unter hiesigen Bedingungen dreimal früher Verschleisserscheinungen etwa an Flügeln und Rumpf – also nach 3300 Flugstunden.
17 statt 30 Jahre
Die Rechnung ist schnell gemacht: Bei 200 Flugstunden pro Jahr erreicht die Lebensdauer der Super Hornet somit nicht einmal 17 Jahre. Damit kann keine Rede sein von einer Betriebsdauer von 30 oder gar 40 Jahren, wie sie Armasuisse den Bewerbern im laufenden Wettbewerb vorschreibt und mit der Bundesrätin Viola Amherd in der vergangenen Kampfjetabstimmung warb.
Bei Armasuisse verweist man auf den technologischen Fortschritt im Bereich der Sensoren und Lenkwaffensysteme, der zu positiven Effekten bei der Belastung der Flugzeugzelle führe: «In den 1990er-Jahren und mit den alten F/A-18 war die Wahrscheinlichkeit höher, dass man in einen Luftkampf auf Sichtweite verwickelt wird, als dies mit der heutigen Technologie der Fall ist», sagt Sprecher Kaj Gunnar Sievert.
Entsprechend sei früher mehr Luftkampf geübt worden als heute. «Das Training der Piloten im Bereich des Sichtluftkampfs hat heute nicht mehr die gleiche Bedeutung.» Die Erkenntnisse aus der Evaluation zeigten bei allen Kandidaten, dass keine Strukturverstärkungen erforderlich seien.
Alles kein Problem?
Ein Insider sagt dazu, das Luftkampftraining über verschiedene Distanzen und damit die Verteidigung des Schweizer Luftraums bleibe auch mit neuen Jets einer der wichtigsten Trainingspunkte. Zum Vergleich: Polizistinnen und Polizisten müssten im Auto auch Blaulicht- und Verfolgungsfahrten üben, nicht nur das Fahren in Tempo-30-Zonen.
Daniel Moszynski, Sprecher des Kampfjetherstellers Boeing, sagt dazu: «Es gibt keine strukturellen Probleme bei der Super Hornet. Die aktuelle Block III Super Hornet erfüllt die Anforderungen der US Navy für den Betrieb bis zu 10’000 Flugstunden.» Die Problematik der Risse sei analysiert und die notwendigen Umgestaltungen in den heutigen Jet eingearbeitet worden. Moszynski: «Die Super Hornet Block III hält während 10’000 Einsatzstunden.»
(Autor: Beni Gafner)
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