An einem schönen Sommertag könnte man fast vergessen, dass man sich auf einem ehemaligen Industrieareal befindet. Im Hinterhof der ehemaligen Spinnereigebäude in Aathal lädt das Restaurant Neue Spinnerei zum Verweilen ein. Das Wasser plätschert in der Aa, die Sonne scheint und das Zwitschern der Vögel ist zu hören. Eine idyllische Szenerie im Grünen. Gleichzeitig ist dank der historischen Gebäude – und nicht zuletzt dank des hochragenden Industriekamins – die Geschichtsträchtigkeit des Ortes spürbar.
Noch bis im Jahr 2004 produzierte die Spinnerei Streiff hier Baumwollgarn. Das Produkt war lange Zeit ein Exportschlager. Aus dem Zürcher Oberland gelangte es in alle Welt. Doch auch die Spinnerei im Aathal ereilte letztlich das gleiche Schicksal wie alle Spinnereien der Region. Dem Preisdruck aus dem Ausland konnte sie nicht standhalten und stellte den Betrieb schliesslich ein.
2010 übernahm die Hiag die Gebäude der Firma Streiff. Insgesamt handelt es sich dabei um drei Areale: die Spinnerei in Aathal, die Spinnerei Floos am oberen Taleingang sowie das Schönau-Areal in Wetzikon. Seither arbeitet die neue Eigentümerin an einer langfristigen Vision, sanierte die alten Fabrikgebäude und nutzte sie um.
«Wir spinnen die Geschichte der Gebäude und des Areals weiter», sagt Daniel Haldimann, Leiter Bewirtschaftung der Hiag in Aathal. «Wir bauen etwas Neues im Alten.» Haldimann ist vom Potenzial des Standorts überzeugt. Gleichzeitig fühlt er sich einer nachhaltigen und verantwortungsvollen Entwicklung der Areale verpflichtet: «Wir wollen möglichst wenige Gebäude abreissen, sondern deren Wert erhalten.»
Eine komplexe Aufgabe, denn die Denkmalpflege redet stets mit. Sei es bei der Farbe der Holzbalken oder der Isolation der Gebäude. Haldimann betont jedoch die gute Zusammenarbeit. «Wir holen alle Ämter früh ins Boot», sagt er. So lasse sich eigentlich immer eine Lösung finden.
Besonders knifflig war der Umgang mit den alten Wehranlagen in der Aa. Während die Denkmalpflege möglichst keine Veränderungen wollte, forderte das Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons Zürich einen verbesserten Hochwasserschutz. «Schlussendlich wurde auch da ein Kompromiss erzielt», erklärt Haldimann.
Vom Oultlet bis zur Freikirche
Der Aabach ist ein zentrales Element im Aathal. Unbequem, wenn er für einmal zu viel Wasser führt, doch vor allem war er entscheidend für die Ansiedlung der Textilindustrie. «Millionenbach» wurde die Ustermer Aa zwischen Pfäffiker- und Greifensee einst genannt. Rund 30 Textilfabriken wurden in der Nähe erstellt und profitierten von der Wasserkraft. Noch heute produzieren drei Kraftwerke Strom für die Gemeinde Wetzikon.
Inzwischen versorgt der Aabach keine grossen Industriemaschinen mehr mit Strom. Spindeln und Spulen sind aus den Fabrikgebäuden verschwunden. Stattdessen sind die unterschiedlichsten Unternehmen in die ehemaligen Spinnerei-Räumlichkeiten eingezogen. «Ein spannender Mix», wie Daniel Haldimann es nennt. «Wir sind grundsätzlich offen für alles.» Dienstleister und Kleingewerbe haben sich angesiedelt. Ein Lungenfachzentrum hat im letzten Jahr im Dachstock des Spinnereigebäudes eröffnet. Daneben gibt es das Restaurant, eine Wäscherei und Outlets – und sogar eine Freikirche. In deren Eventhalle Shed15 können Veranstaltungen unterschiedlicher Grösse durchgeführt werden. Und auch der Schweizer Hauptsitz eines grossen amerikanischen Donutherstellers befindet sich in Aathal.
Heimelig statt steril
Die massiven Mauern, die soliden Holzzementböden, die schweren Holzbalken: sie machen den Charme der Gebäude aus. «Es sind schöne hohe Räume, das Holz macht es heimelig», sagt Daniel Haldimann. «Es ist kein steriler Bau.» Er arbeite gerne in den Räumen und in diesem Mikrokosmos, der in Aathal entstanden sei.
Doch eigentlich war das Aathal schon immer ein Mikrokosmos. Verkehrstechnisch zwar gut erschlossen, ist man dennoch etwas unter sich. Vor allem früher, als noch hauptsächlich Pferde und die Bahn zum Transport dienten. Hier wurde nicht nur gearbeitet, sondern auch gewohnt: Ein Teil der Familie Streiff lebte und lebt noch immer in der benachbarten und erhaltenen Villa. Die Arbeiterinnen und Arbeiter kamen in den Kosthäusern unter.
Bewohnt sind die Kosthäuser auch heute noch. «Sie ziehen einen breiten Mix von Menschen an», sagt Haldimann. Teilweise leben sogar immer noch ehemalige Mitarbeiter der Spinnerei Streiff in den vier Häusern im Unter-Aathal. «Wohnraum ist hier preiswerter als in den benachbarten Städten Uster und Wetzikon», sagt Haldimann. Zwar rollt die tägliche Blechlawine auch an den Kosthäusern vorbei. Doch eigentlich liegen sie sehr naturnah. «Man ist schnell im Wald oder am Pfäffikersee.»
Grossprojekte sind in Planung
Die Vision für die Umnutzung der ehemaligen Spinnerei Streiff in Aathal und Wetzikon ist noch lange nicht abgeschlossen. Für das Schönau-Areal liegt derzeit ein öffentlicher Gestaltungsplan der Stadt Wetzikon vor. Dort soll zusätzlicher Wohnraum entstehen. Erst im vergangenen März nahm ausserdem die Seegräbner Bevölkerung den Gestaltungsplan für die Grossüberbauung auf der Talwis direkt beim Bahnhof Aathal an. Zwischen Bahnlinie und Aabach ist eine Wohn- und Gewerbeüberbauung geplant – inklusive Bau- und Supermarkt eines Grossverteilers
Insgesamt habe die Bevölkerung die Weiterentwicklung der Spinnerei-Areale gut angenommen, sagt Daniel Haldimann. Das spüre er einerseits in Gesprächen, andererseits sei die Annahme des Gestaltungsplans für die Talwis eine Bestätigung. Wie die Bevölkerung die anstehenden Projekte tatsächlich annimmt, wird sich erst in Zukunft zeigen. Dann vielleicht auch, wenn eines der spektakulärsten Projekte realisiert werden sollte: die Brücke von Seegräben zum Sack über das Aathal.
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