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Those were the days: Roger Schawinski im Oktober 1980 auf dem Pizzo Groppera. Foto: Keystone

Schawinski gegen alle

Bald wird in der Schweiz kein Radio über UKW mehr zu empfangen sein. Private Radiobetreiber sind mit der Abschaltung einverstanden. Roger Schawinski dagegen droht, vor Gericht zu ziehen.

Those were the days: Roger Schawinski im Oktober 1980 auf dem Pizzo Groppera. Foto: Keystone

Veröffentlicht am: 20.04.2021 – 08.10 Uhr

Alle sind sich einig, alle bis auf einen, und dieser eine heisst Roger Schawinski.

Die Meinungsverschiedenheit zwischen Schawinski und den anderen Betreibern von Privatradios entzündet sich an der Frage, wie erfolgreich und nützlich die DAB-Technologie ist, «Digital Audio Broadcasting», digitales Radio also. Und wie vernünftig es ist, dass die Schweiz neben Norwegen bald das einzige Land Europas sein wird, in dem nicht mehr analog über die traditionsreiche Ultrakurzwelle (UKW) gesendet wird.

2015 haben fast alle privaten Stationen eine Branchenvereinbarung unterschrieben. Aufgrund dieser Vereinbarung werden sie im Januar 2023 die Übertragung via UKW einstellen. Bei den öffentlichen Sendern soll dies schon im August 2022 geschehen.

Vor kurzem hat das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) die UKW-Sendekonzession der Privaten auf Anfang 2023 widerrufen. In einer Stellungnahme an das Bakom, die der Redaktion Tamedia vorliegt, protestiert Schawinski gegen den Widerruf der Konzession. Ausserdem kündigt der Radiopionier und Besitzer des Zürcher Senders Radio 1 an, beim Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen Beschwerde einzulegen.

Nach der Abschaltung von UKW müssen jene Hörerinnen und Hörer, die es nicht schon getan haben, DAB-fähige Geräte kaufen. Lassen wir zunächst einige Befürworter der UKW-Abschaltung und Anhänger von DAB zu Wort kommen.

«Schweiz ist innovativ und mutig»

«Der Technologiewechsel ist richtig, man musste diesen Schritt tun», sagt Florian Wanner auf Anfrage. Er ist Leiter Radio bei CH Media – jenem Konzern also, zu dem neben fünf anderen Sendern auch Radio 24 gehört, das Schawinski 1979 als erstes Schweizer Privatradio gegründet hatte.

Dass die Schweiz beim Systemwechsel weiter sei als das Ausland, findet Wanner «innovativ und mutig». Es herrsche unter den Privatradiobetreibern weitgehende Einigkeit, dass der Plan richtig sei. Und die Klangqualität von DAB sei eindeutig besser als jene von UKW.

Gegenwärtig senden die meisten Radiostationen über drei Kanäle, nämlich UKW, DAB sowie übers Internet. Um den privaten Sendern den Betrieb über DAB zu erleichtern, subventioniert das Bakom deren Kosten, im Moment noch zu 50 Prozent. Diese Subventionen laufen aber aus.

«UKW ist eine veraltete Technologie», sagt René Wehrlin. Er ist beim Bakom für die Digitalisierung im Rundfunkbereich zuständig und koordiniert eine Kampagne, um Hörerinnen und Hörer, die noch auf UKW empfangen, zum Umstieg auf DAB zu animieren. Um gegenüber Global Players wie Youtube oder Spotify bestehen zu können, sagt Wehrlin, müsse sich das Radio digitalisieren.

Laut dem Bakom-Experten ist es für einen Sender rund eineinhalbmal so teuer, Infrastrukturen für UKW und DAB gleichzeitig zu unterhalten, wie wenn er nur über DAB sendet. Wanner bestätigt die Zahl. «Nur digital kann das Radiohören gerettet werden – denn auf Dauer ist es für die Radiosender unmöglich, die Infrastruktur für UKW und DAB gleichzeitig zu finanzieren», sagt Wehrlin.

«Es ist allen klar: UKW hat keine Zukunft. Die Privatradiobetreiber vollziehen den Technologiewechsel aus Überzeugung», betont auch der ehemalige SRG-Kommunikationschef Iso Rechsteiner. Heute ist er Koordinator und im Auftragsverhältnis Sprecher einer Arbeitsgruppe, in der die SRG, die Verbände der privaten Radiostationen und das Bakom über Fragen des öffentlichen Rundfunks beraten und entscheiden.

Seit Herbst 2015 ermittelt das Marktforschungsinstitut GFK im Auftrag des Bakom, wie viel die Schweizer Bevölkerung über welchen Kanal Radio hört. Dabei stellt es für DAB und die Nutzung übers Internet ein stetiges Wachstum fest, während UKW an Boden verliert.

Roger Schawinski ist in fast allen Punkten anderer Meinung als die Befürworter der UKW-Abschaltung. In einem Telefongespräch bezeichnet er DAB als «gigantische Fehlinvestition» und als Technologie, die sich international nicht durchgesetzt habe. «Dass nun in der Schweiz als einzigem Land in Mitteleuropa nicht mehr über UKW gesendet werden soll, ist nichts anderes als der Versuch, den viele Millionen teuren und unsinnigen Entscheid zugunsten von DAB nachträglich zu rechtfertigen», sagt Schawinski.

Die tiefen Nutzerzahlen von UKW zweifelt der Chef von Radio 1 an. Er verweist unter anderem auf Irland, das DAB bereits wieder abschalte, weil es nur einen Anteil von kümmerlichen 0,5 Prozent aufweise. Schawinski glaubt, es werde «einen gewaltigen öffentlichen Aufschrei geben», wenn Hunderttausende von Hörerinnen und Hörern plötzlich ein neues Gerät kaufen müssten, um weiterhin ihre Sender zu empfangen. «Logisch kann vor allem die SRG einiges sparen, aber im Gegenzug fallen viel höhere Kosten beim Publikum an.»

Kein Radiohören mehr im Auto?

Das Radiogerät in der Küche, im Bad, im Schlafzimmer – sie alle würden nutzlos und müssten ersetzt werden. Ausserdem sei eine riesige Zahl von Autos nur mit einem UKW-Empfänger ausgestattet. «Radio ist im Auto essenziell, schon aus Gründen der Verkehrssicherheit», sagt Schawinski. Hinzu komme, dass Ausländer während ihrer Fahrt durch die Schweiz plötzlich nichts mehr empfangen würden.

Das Auto sehen auch Iso Rechsteiner und andere Befürworter der UKW-Abschaltung als «grosse Herausforderung». Mehr noch, als unbestreitbaren Nachteil des Plans. Rechsteiner verweist aber darauf, dass inzwischen jeder Neuwagen DAB empfangen könne.

Das einzige Land Europas, das UKW bisher abgeschaltet hat, ist Norwegen. Für Schawinski ein abschreckendes Beispiel, weil dadurch ausländische UKW-Sender an die Stelle der einheimischen getreten seien. Das werde auch in der Schweiz passieren.

Florian Wanner, der Radiochef von CH Media, glaubt das nicht. «Die Leute wollen ihre altbekannten Lokalsender mit lokalen Stimmen und Nachrichten weiter hören. Bevor sie auf einen deutschen Sender umsteigen, kaufen sie für hundert Franken ein DAB-fähiges Radio.»

Für Schawinski ist DAB ohnehin eine «unnötige Übergangstechnologie». Viel intelligenter wäre es in seinen Augen gewesen, so lange auf UKW zu setzen, bis die Verbreitung über Internet und 5G alle anderen Technologien verdränge. Die Investitionen für UKW seien grösstenteils amortisiert, der Unterhalt falle deshalb nicht mehr stark ins Gewicht.

DAB bedeutet mehr Konkurrenz

Die Behauptung, wonach sich DAB international nicht durchgesetzt habe, kommentiert René Wehrlin vom Bakom mit den Worten: «Die Fakten belegen das Gegenteil. DAB ist der einzige digitale Rundfunkstandard, der sich weltweit für die Verbreitung von Radioprogrammen etabliert hat, mit Ausnahme der USA.» Wehrlin verweist auf internationale Statistiken, wonach DAB in vielen Ländern immer häufiger genutzt werde. Weil das DAB-Signal eines Senders nicht nur im Konzessionsgebiet zu empfangen sei, bedeute die neuere Technologie auch eine Öffnung des Marktes und mehr Konkurrenz.

Irritiert es Radio-1-Chef Schawinski nicht, dass er mit seiner Haltung unter den Betreibern von Privatradios isoliert dasteht? «Ich glaube, die spüren und wissen vieles einfach nicht. Und sie ignorieren die Nachteile der Abschaltung», antwortet er. Ausserdem seien heute Persönlichkeiten in dieser Branche selten, es dominierten Bürokraten und Manager.

Nicht einmal über die akustische Qualität der beiden Verbreitungswege herrscht Einigkeit. DAB sei um einiges schlechter, sagen Schawinski und Markus Stocker, der schon auf dem legendären Pizzo Groppera technische Probleme für den Gründer von Radio 24 gelöst hat und bis heute für ihn tätig ist. Stocker erklärt dies unter anderem mit der geringen Datenübertragungsrate von DAB. Die Gegenseite beteuert, der digitale Empfang sei deutlich besser und vor allem beständiger und zuverlässiger als UKW.

Die Abschaltung von UKW ist nicht nur mit technologischen Querelen verknüpft, sondern auch mit zwei gegensätzlichen Erzählungen.

Schawinski – der ewige Besserwisser?

Die eine geht so: Der 75-jährige Schawinski, noch immer ausgestattet mit dem untrüglichen Gespür für die wahren Bedürfnisse des Radiovolkes, nimmt wahr, was den Bakom-Bürokraten entgeht. Dank seiner jahrzehntelangen Erfahrung liegt er richtig, anders als seine jüngeren Kollegen, die in ihren Managementkursen zu oft die Wörter Nutzenoptimierung und Synergie gehört haben.

Oder: Schawinski, der ewige Rebell, Querschläger und Besserwisser, hat sich diesmal verrannt, verschliesst sich der technologischen Zukunft, gefällt sich in der Rolle, als erster privater UKW-Betreiber auch derjenige zu sein, der UKW unbelehrbar verteidigt und als Letzter nutzt.

Die Hörerinnen und Hörer werden entscheiden, wer recht bekommt. Und das Bundesverwaltungsgericht.

Sollte sich Schawinski juristisch durchsetzen, droht ein Scherbenhaufen. Falls nicht alle mitmachen, holt sich nämlich jener Sender, der als einziger weiterhin auf UKW empfangbar ist, einen Marktvorteil heraus – was die anderen dazu bewegen könnte, ebenfalls an UKW festzuhalten. Absprachen, Konzepte, jahrelange Planungen für den Technologiewechsel: Sie wären im schlimmsten Fall dahin.

«Wenn UKW so wenig genutzt wird, wie es die DAB-Befürworter behaupten – warum befürchten sie dann, dass mir das Festhalten an UKW einen so grossen Marktvorteil bringen würde?», fragt Roger Schawinski. «Damit demontieren sie ihr eigenes Argument.»

Und wenn das Gericht gegen ihn entscheidet? Könnte er sich vorstellen, die Abschaltung zu verweigern? «Natürlich stelle ich dann ab. Auf den Pizzo Groppera gehe ich mit meinem UKW-Sender ganz bestimmt kein zweites Mal.» (Sandro Benini)


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