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Erik (rechts) hatte die Idee zum Queer-Treff in Wetzikon. Micha (links) war einer der ersten Teilnehmer. Fotos: Seraina Boner

Ein Ort, an dem es niemanden juckt

Im Wetziker Jugendhaus findet zwei Mal im Monat ein Treffen für queere Jugendliche statt. Das Angebot ist der Initiative eines Jugendlichen zu verdanken.

Erik (rechts) hatte die Idee zum Queer-Treff in Wetzikon. Micha (links) war einer der ersten Teilnehmer. Fotos: Seraina Boner

Veröffentlicht am: 16.11.2020 – 06.42 Uhr

Um den simplen weissen Tisch im ersten Stock des Wetziker Jugendhaus sitzen am Freitag um 18 Uhr sechs Teenager:

Tanja, 15, spricht mit weicher Stimme, hat ein sehr freundliches Gesicht, bezeichnet sich als queer und kommt hierher, weil es coole Menschen gibt, mit denen sie sich gerne unterhält. Sie besucht eine weiterführende Schule. Ihr Name ist geändert, weil sie zwar in ihrem Freundeskreis und bei der Mutter, nicht aber beim Vater geoutet ist.

Tessa, 16, blond gefärbte Haare, ist sich noch nicht sicher, wo sie sich auf dem Spektrum sieht. Am ehesten, denkt sie, ist sie bisexuell. Sie kommt nicht so oft hierher, weil sie zu wenig Freizeit hat. Aber wenn sie Zeit hat, kommt sie gerne, um die Leute zu treffen. Ihr Name ist geändert.

Erik, 16, in der Lehre zum Bibliothekar, ist sich ebenfalls nicht ganz sicher, welcher Begriff am besten passt: «Früher dachte ich, ich bin einfach schwul, aber mittlerweile lable ich weder mein Geschlecht noch meine Sexualität». Erik ist es lieber, wenn man Pronomen weglässt. Erik ist aber bewusst, dass das in der deutschen Sprache schwierig ist, «Englisch eignet sich da besser. Wenn’s zu kompliziert ist, ist es schon ok, wenn man männliche Pronomen benutzt.»

Anna, 13, nächste Woche 14, ist Schülerin, die Schwester von Erik und «eine grosse Lesbe». Ihre Sätze sind präzis, überlegt, sie ist die Jüngste hier, man merkt es ihr nicht an. Eigentlich hatte sie gehofft, dass heute einige der neuen 1.-Sek-SchülerInnen dabei sein würden, «von denen sind schon mega viele geoutet».

Kim, 16, sieht sich irgendwo auf dem nicht-binären Spektrum. Sie kommt hierher, weil sie das Gefühl hat, hier sich selbst sein zu können, «mich mal nicht als das hetero Mädchen geben muss, als das ich mich nicht fühle». Sie heisst eigentlich anders.

Micha, 15, hat sich auch schon überlegt, ob er sich wirklich als Junge fühlt, mittlerweile sei er aber zum Schluss gekommen, eben einfach ein femininer Mann zu sein. Er bezeichnet sich als schwul. Sein Programm ist gedrängt, neben der KV-Lehre trainiert er mehrmals in der Woche. Er voltigiert. Die Zeit, hierher zu kommen, nimmt er sich trotzdem, weil: «Es gibt für mich viel von den Erfahrungen anderer zu lernen.» 

Immer am ersten und am dritten Freitag im Monat findet im Jugendhaus Wetzikon der Queer-Treff statt. Willkommen sind alle, die sich an die Regeln halten. Primäre Zielgruppe sind allerdings LGBT*- oder eben queere Jugendliche.

Reden, basteln, Disco

Bei den Jugendlichen sitzen die Sozialarbeiterin Nadia Bohler und Jeron Lohner, der in der Ausbildung zum Sozialarbeiter ist. «Wir sind einfach hier und helfen wenn es Hilfe braucht, das Programm gestalten die Teilnehmenden aber selbst. Wenn sie Disco machen wollen, machen wir Disco, wenn sie reden wollen, reden wir, wenn sie basteln wollen, basteln wir», sagt Bohler.

Das Treffen findet jeweils von 17 bis 18.30 Uhr statt. Dann öffnet der allgemeine Jugendtreff. Davor, dass sie dadurch «aus Versehen» geoutet werden, haben die Teilnehmenden keine Angst. Die nicht-geouteten Jugendlichen nennen Eltern oder Erwachsene im Umfeld als Hindernisse, nicht Gleichaltrige. Das Format funktioniere sowieso gut, sagt Bohler. Auch dass man den Treff öffentlich halte, führe nicht zu Problemen. Nur einmal sei einer vorbeigekommen, um die Teilnehmenden zu beleidigen, oder wie es Erik sagt, «den Freaks zu sagen, dass sie Freaks sind».

«Ich wusste nicht, dass Disco eine Option ist», sagt Kim. «Würdest du Disco machen wollen?», fragt Tanja. «Nein». Heute sollen Buttons gebastelt werden.

Eigeninitiative von Erik

Entstanden ist der Treff auf Eriks Initiative hin. «Ich hatte das Bedürfnis nach einem Ort, an dem mich mit anderen austauschen und einfach ich sein kann». «Also eigentlich», so Erik, «habe ich das Bedürfnis nach einer Welt, in der meine Sexualität, mein Aussehen und mein Geschlecht niemanden juckt.» Aber solange das nicht der Fall sei, sei ein Ort wo das zutreffe, schon mal ein Anfang.

Bohler sagt, sie sei von Eriks Idee sofort begeistert gewesen. Im September vor einem Jahr fand das Treffen zum ersten Mal statt. Anfangs seien manchmal nur sie und Erik hier gewesen. Einer der ersten regelmässigen Teilnehmer war dann Micha. Er ist seit dem Kindergarten mit Erik befreundet. «Natürlich gibt’s Clubs und Bars. Aber die sind erst ab 18 und ausserdem vielleicht auch nicht gerade die ersten Orte, die man aufsuchen will, nachdem man sich geoutet hat» sagt Micha.

Mittlerweile wachse der Queer-Treff langsam, aber kontinuierlich, sagt Bohler. Dass es das Angebot braucht, davon ist sie überzeugt. «Jugendliche benötigen geschützte Orte, an denen sie sich mit Gleichaltrigen austauschen können, die ähnliche Erfahrungen machen wie sie.» Dass sie diesen Aspekt am Queer-Treff schätzen, bestätigen ausnahmslos alle Jugendliche.

Unterschiedliche Erfahrungen

Das obwohl die tatsächlichen Erfahrungen, die die Teilnehmenden gemacht haben, weit auseinander gehen. «Wer hat im Umgang mit Hetero-Freunden immer wieder das Gefühl, mit seiner Queerness anzuecken?» fragt Erik die Gruppe. Die Hälfte hält eine Hand hoch. Tanja sagt: «Nein, ich habe wirklich einen super offenen Freundeskreis.» Micha zweifelt. «Ich habe das Gefühl, ich ecke dadurch an, dass ich sehr laut sein kann.» Tanja, die ihm gegenübersitzt, lacht ihn an und sagt: «Ich bin ziemlich sicher, das ist was anderes.» Micha lässt die Hand unten.

Ebenfalls die Hälfte der Anwesenden gibt an, Erfahrung mit Mobbing gemacht zu haben. «Verallgemeinern kann man natürlich nicht, aber oft machen Jungs mehr schlechte Erfahrungen als Mädchen», sagt Bohler. Diese Verallgemeinerung trifft zumindest bei den Geschwistern im Raum zu. Erik: «In der Sek gab es bei mir keine Pause, in der mir nicht Schwuchtel nachgerufen wurde, ein Mal wurde mir ins Gesicht geschlagen und zwei Mal haben mich andere Schüler mit Messer verfolgt.»

Anna: «Viele denken bei mir, ich sei eh ein Junge. Bei den Buben habe ich fast Bro-Status, die Mädchen kümmert’s nicht gross. Mir wird manchmal Lesbe nachgerufen, dann reagieren meine Freunde meistens schneller als ich selbst.» Für beide schwierig ist das Verhältnis zum Vater. «Der findet es schlimm, dass ich wie ein Junge rumlaufe», sagt Anna. «Er sagt, ich sei ein Junge und als Junge dürfe ich kein Makeup benutzen», sagt Erik. Erik lässt sich davon allerdings nicht beirren und ist heute Abend geschminkt.

Auf die Frage, ob der Treff das Leben für sie auch konkret erleichtere, zum Beispiel mit Hilfe bei einem Coming-Out, antwortet Tanja. «Ich habe mich bei meiner Mutter geoutet, indem ich ihr gesagt habe, ich ginge noch an den Queer-Treff».» (Xenia Klaus)

Glossar

Queer: So bezeichnen sich Personen, deren sexuelle oder geschlechtliche Identität von der gesellschaftlichen Heteronormativität abweicht.

Nicht binäres Spektrum: Auf dem «nicht binären Spektrum» befindet sich, wer sich weder in der Kategorie «Frau» oder «Mann» repräsentiert sieht.

LGBT*: Die Abkürzung besteht aus den englischen Worten für: Lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell. Um alle berücksichtigen zu können, die sich mit keinem dieser Beschreibungen identifizieren können, wird oft noch ein Sternchen angehängt.


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