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Symbolfoto: pixabay.com / Korbstuhl am Meer.

Karminrot

Von Lena Röthlin aus Altendorf. Wer für die Geschichte der 15-Jährigen stimmen möchte, sendet den Buchstaben C per SMS an die Nummer 079 807 10 10.

Symbolfoto: pixabay.com / Korbstuhl am Meer.

Veröffentlicht am: 10.11.2020 – 18.03 Uhr

Überaus frustriert pfefferte ich den Schulranzen in die nächstliegende Ecke und liess mich auf den Stuhl fallen. Der lange Schultag hatte es eindeutig in sich gehabt. Ich atmete aus und stützte meinen Kopf seufzend auf die Hände ab. Mein unsteter Blick glitt nach draussen, wo der Wind die Blätter der Bäume streichelte und sie tanzen liess. Ich schloss meine Augen und atmete tief ein und aus.

Der Stress der letzten Tage machte sich rasch bemerkbar, mein Kopf schmerzte zunehmend . Und da gab es nur etwas, das mir helfen konnte. Der Pinsel sog das Wasser in dem gefüllten Glas gierig auf, worauf ich ihn langsam zu den kräftigen Farben hinführte. Ich schloss die Augen, und augenblicklich manifestierte sich die Szene in meinem Kopf.

Allmählich entspannte ich mich und gewann ein wenig von der Konzentration zurück, die mir in den letzten Tagen gefehlt hatte. Genau als der Pinsel schon die Farbe aufnehmen wollte, hielt ich inne. Etwas fehlte, dies bemerkte ich sofort. Suchend blickte ich mich in meinem Zimmer um. Erst nach einiger Zeit begriff ich, was es war. Es war das geschlossene Fenster, das mich an meinem Vorhaben hinderte. Denn wie ich zuvor nicht bemerkt hatte, hatte es in der Zwischenzeit angefangen zu regnen, und dicke Tropfen lieferten sich an der Scheibe ein Wettrennen.

Kühle Luft streifte mein Gesicht, als ich das Fenster öffnete. Der Duft des Regens liess mich endgültig zur Ruhe kommen. Mein Blick glitt zum wiederholten Mal zu dem immer noch weissen Blatt Papier vor mir. Ich nahm den Pinsel in die Hand und führte ihn zu den Farben.

Die schwungvollen Linien, die der Pinsel hinterliess, waren genauestens platziert und verliehen dem Bild etwas unnatürlich Perfektes. Ein zufriedenes Lächeln schmückte meine Lippen, und Euphorie erfüllte mein Inneres. Eine imperfekte Perfektion. Nie würde das Bild an die Szene in meinem Kopf heranreichen, und doch es war so schön, dass es täuschend echt wirkte. Ich wusch den Pinsel im Wasserglas aus, worauf sich dessen Inhalt zu einem wunderschönen Blau wandelte.

Die nächste Farbe war ein kräftiges Karminrot. Meine Lieblingsfarbe. Schwer schluckte ich, als ich mich entsann, wo ich diese Farbe das erste Mal gesehen hatte. Der Ort zeichnete sich vor meinem inneren Auge ab, und meine Augen füllten sich allmählich mit Tränen. Der Euphorie wich eine schleichende Traurigkeit, die mein Herz schwer werden liess. Aufgewühlt versuchte ich meinen Atem zu kontrollieren und wischte die Tränen weg.

Doch meine Augen schienen zu Wasserfällen zu mutieren, immer mehr Flüssigkeit fand ihren Weg über meine Wangen. Mein Blick glitt nach draussen. Der Himmel schien ebenso wie ich zu trauern. Ein vereinzelter Schluchzer kroch meine Kehle empor und verhinderte es mir zu atmen.

Mein Herz fühlte sich mit einem Mal merkwürdig klamm und kühl an. Verzweifelt versuchte ich die Gedanken zu verdrängen und schüttelte immer wieder meinen Kopf, um dieses erdrückende Grau endlich loszuwerden. Nach einer gewissen Zeit wurden es weniger, bis die Tränen schliesslich ganz versiegten. Der Grund war mein jahrelanger Lehrer. Er hatte mich gelehrt, das Zeichnen so zu lieben, wie er es tat. Schon mit jungen Jahren hatten mich die vielen Farben fasziniert, und so hatte ich jedes mögliche Material verwendet, um meine Stifte auszuprobieren.

Ein vereinzelter Fleck auf meinem Vorhang zeugt noch heute davon, selbst der Kaminsims ist nicht verschont geblieben. Ein trauriges Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich eben  diesen Vorhang betrachtete. Vor nicht allzu langer Zeit hatte der Himmel ihn zu sich geholt. Der Glanz, der seine Augen mit Leben gefüllt hatte, wann immer er vor der Staffelei gestanden war, war für immer verblasst. Die Pinsel würden nie wieder in seiner Hand liegen und die Farbe voller Präzision auf die Leinwand schichten, um ein neues, noch weitaus bezaubernderes Kunstwerk zu erschaffen.

Hastig lenkte ich meine Gedanken auf mein eigentliches Vorhaben und liess die betrübende Dunkelheit hinter mir. Der Pinsel brachte wunderschöne Farben zu Papier. Gelb. Rot. Orange. Blau. Der Sonnenaufgang an diesem Morgen im Winter stellte die Wärme dar, die sich jedes Mal in meinem Herz einnistete, wenn ich den Pinsel zur Hand nahm. Die kalten Farben bezogen sich auf das Leid, das ich in den vergangenen Tagen oder auch Jahren bewältigen musste.

Zufrieden legte ich den Pinsel beiseite. Mein Inneres ging mit einem Mal auf wie eine Blume, die im strömenden Regen gediehen war, und nun endlich die wärmenden Strahlen der Sonne auf ihren Blättern spüren konnte. Ein letztes Mal blickte ich auf das entstandene Bild und musste lächeln, als ich mich eines schönen Zitats entsann .

Meine Augen wanderten nach draussen, und da bemerkte ich, dass es schon dunkel geworden war. Gelb wirkende Strahlen, von der Laterne ausgehend, erhellten den schimmernden Kiesboden.

Kategorie Jugend
Von Von Lena Röthlin aus Altendorf . Wer für die Geschichte der 15-Jährigen stimmen möchte, sendet den Buchstaben C per SMS an die Nummer 079 807 10 10. Möglich ist eine einmalige Teilnahme bei der Abstimmung.


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