Vielen passiert es beim Husten, beim Hinunterrennen von Treppen, beim Lachen, beim Anheben schwerer Gegenstände oder beim Trampolinspringen. Die Rede ist vom unkontrollierten Wasserlassen.
Auf der Rangliste der weltweit grössten Tabuthemen folge die Blasenschwäche auf dem zweiten Platz, direkt auf das Thema Sexualität, sagt Karin Kuhn, Geschäftsführerin der Schweizerischen Gesellschaft für Blasenschwäche mit Sitz in Egg. «Dabei zählt Inkontinenz zu den weitverbreitetsten Volkskrankheiten überhaupt. Allein in der Schweiz gibt es schätzungsweise über eine halbe Million Betroffene.»
Die Gesellschaft wurde vor 19 Jahren gegründet, mit dem Ziel, auf die Krankheit zu sensibilisieren und Betroffene zu beraten. Diese Woche, vom 15. bis zum 21. Juni, findet auf der ganzen Welt zum zwölften Mal die Aufklärungskampagne «World Continence Week» statt, bei der auch die Schweizerische Gesellschaft für Blasenschwäche jeweils mit einigen Veranstaltungen mitwirkt. Dieses Jahr fielen die öffentlichen Anlässe der Corona-Krise zum Opfer – trotzdem sei es wichtig, das Thema Blasenschwäche ins Bewusstsein zu rücken, betont Kuhn.
«Auch wenn Harninkontinenz tendenziell im Alter zunimmt, ist sie definitiv keine Alte-Leute-Krankheit. Oft sind schon junge Frauen davon betroffen», sagt Kuhn (siehe Box). Zudem leiden ihr zufolge immer mehr Menschen unter Inkontinenz. Der Grund: «Das Risiko für Blasenschwäche nimmt mit dem Alter zu, und Leute leben heutzutage immer länger.»
Soziale Abschottung
«Vor 20 Jahren gab kaum jemand eine eigene Betroffenheit zu. Stattdessen wurde immer behauptet, man informiere sich für eine Bekannte», erzählt Kuhn. Heute habe sich das etwas verbessert – dennoch gebe es grosse Hemmschwellen. «Fast niemand spricht öffentlich darüber, weil die Symptome der Krankheit als eklig und unsauber gelten», sagt Kuhn. «Statt ärztliche Hilfe zu suchen, leiden viele still zuhause und ziehen sich immer mehr vom gesellschaftlichen Leben zurück», so Kuhn. Viele wüssten gar nicht, dass Inkontinenz therapierbar sei.
Daniele Peruccini, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Blasenschwäche, arbeitet im Blasenzentrum Zürich als Urogynäkologe.
Daniele Peruccini, was macht ein Urogynäkologe?
Daniele Peruccini: Die Urogynäkologie ist eine Sparte der Gynäkologie, die sich mit der Blase und dem Beckenboden von Frauen beschäftigt.
Sind denn nur Frauen von Inkontinenz betroffen?
Inkontinenz betrifft auch viele Männer. Genaue Zahlen gibt es jedoch nicht, denn gerade Männer verschweigen oft die Tatsache, dass sie an Blasenschwäche leiden. So können beispielsweise nach dem Gang zur Toilette noch einige Tropfen in der Hose landen. Eine mit zunehmendem Alter wachsende Prostata verursacht Drang und eine nicht vollständige Entleerung der Blase. Bei Frauen hingegen ist aufgrund des Körperbaus eine sogenannte Belastungsinkontinenz häufig. Gelegentlich unfreiwilliger Harnverlust beim Husten oder anderen Belastungen geben rund 40 Prozent der Frauen an und etwa 5 bis 10 Prozent leiden an stärkerer Inkontinenz.
Wie kommt es bei Frauen anatomisch zu einer Blasenschwäche?
Sie tritt dann auf, wenn der Schliessmuskel schwächer wird oder sich die Blase absenkt. Das passiert einerseits altersbedingt, weil sich Muskelfasern des Beckenbodens zunehmend abbauen. Die zweite grosse Ursache ist eine Geburt. Es ist eindrücklich, wie sich der Körper nach Geburten erholt. In vielen Fällen hinterlässt die grosse körperliche Belastung aber doch Spuren. Schauspielerin Kate Winslet machte darauf aufmerksam, als sie erzählte, dass sie seit der Geburt ihres dritten Kindes noch zweimal niesen könne – beim dritten Mal werde sie nass.
Haben Menschen, die ständig eine Toilette aufsuchen auch eine Form von Inkontinenz?
Es gibt viele Leute, die unterwegs auf den Standort von Toiletten achten müssen, um wenn plötzlich der Drang kommt Wasser zu lassen – oft nur in kleinen Mengen. Dabei handelt es sich um eine Reizblase oder überaktive Blase. Sie ist die zweite häufige Form von Inkontinenz.
Ab wann redet man von einer Blasenschwäche?
Die wenigsten Frauen können behaupten, sie hätten noch nie einen Tropfen verloren. Es ist schwierig zu sagen, was krankhaft ist. Meist ist Blasenschwäche ein schleichender Prozess. Eine Früherkennung ist deshalb umso wichtiger.
Was kann man tun, um Inkontinenz vorzubeugen?
In vielen Fällen hilft Beckenbodentraining, um den Halt der Beckenorgane zu stärken. Dieses kann man auch im Alltag integrieren, indem man zum Beispiel den Beckenboden anspannt und wieder entspannt. Oftmals wissen Leute aber gar nicht, wo die Beckenbodenmuskulatur ist und wie man sie trainiert. Kaffee, Cola und Nikotin aber auch Übergewicht können die überaktive Blase verschlimmern. Zudem sollte man regelmässig aber nicht präventiv auf die Toilette gehen.
Und wenn Blasentraining und Beckenbodenübungen nichts mehr nützen?
Dann kann eine Reizblase zusätzlich medikamentös therapiert werden – und auch mit der Injektion von Botox werden grosse Verbesserungen erzielt. Gegen die Belastungsinkontinenz gibt es zur Symptombekämpfung zum Beispiel spezielle Kontinenztampons. Dazu gibt es noch die Möglichkeit eines operativen Eingriffs ohne Narkose. Dabei wird ein Kontinenzbändchen um die Harnröhre gelegt, das bei grossem Druck auf die Blase einen Knick in der Harnröhre verursacht, damit der Urin nicht auslaufen kann.
Trotz dieser Therapien und Lösungsansätze verstecken sich gemäss Karin Kuhn viele zuhause?
Viele kennen diese Lösungsansätze nicht. Oftmals nehmen es auch Hausärzte nicht genug ernst. Andererseits löst das Thema bei Betroffenen immer noch viele Ängste und Scham aus. Doch langsam gibt es eine Veränderung.
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