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Martin Miller ist Psychotherapeut. Hier in seiner Praxis mitten in Uster. Christian Merz

«Dank meiner Cousine bin ich heute kein Mörder»

Seine Mutter war eine weltberühmte Psychologin, trotzdem war seine Kindheit ein einziges Trauma: Im Interview spricht der Ustermer Martin Miller über Wege aus dem Gewaltkreislauf und über einen aktuellen Dok-Film, der ihn auf seiner schwierigen Reise in die Vergangenheit begleitet.

Martin Miller ist Psychotherapeut. Hier in seiner Praxis mitten in Uster. Christian Merz

Veröffentlicht am: 23.01.2020 – 11.01 Uhr

Martin Millers Praxis im Ustermer Zentrum wirkt gemütlich und kunstvoll eingerichtet. Der 69-Jährige empfängt Besucher in Jogginghose und Wolljäckchen. Auf seinem Schreibtisch liegt das neueste Buch des amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden. Miller hat selbst eine Enthüllungsgeschichte hinter sich: Er ist der Sohn der weltbekannten Psychologin Alice Miller, die als erste unter anderem die Gewalt an Kindern kritisierte. Nach ihrem Tod veröffentlichte Miller ein Buch, in dem er von seiner traumatischen Kindheit zwischen einem gewalttätigen Vater und einer gefühlskalten Mutter berichtet. An diesem Wochenende feiert ein Dokumentarfilm an den Solothurner Filmfesttagen Premiere, der Martin Miller auf seiner Spurensuche in seiner Familiengeschichte begleitet.

Martin Miller, wie fühlt es sich an, Ihr Kindheitstrauma auf der grossen Leinwand zu sehen?
Martin Miller: Gut. Ich suche die Öffentlichkeit bei diesem Thema ja durchaus bewusst. Das ist Teil meiner persönlichen Strategie, mit dem Trauma umzugehen. Es geht mir dabei auch um Gerechtigkeit. Ich will nicht, dass die Welt meine Mutter als den Engel wahrnimmt, der sie nicht war. Mit ihrer Kälte und ihrer Tatenlosigkeit, als mein Vater mich schlug, hat sie mir psychisch enorm geschadet.

Während des 2. Weltkriegs hat Ihre Mutter als Jüdin im Warschauer Ghetto unterrichtet und nach ihrer Flucht in die Schweiz die Psychologie revolutioniert (siehe Box). Können Sie ihr Vermächtnis respektieren, obwohl sie Ihnen Schmerz zugefügt hat?
Das kann ich. Sie war schlau und wurde durch ihre schwere Kindheit wahrscheinlich noch schlauer. Das heisst aber nicht, dass ich ihr verzeihe. Sie hatte ein unverarbeitetes Kriegstrauma und identifizierte sich irgendwann mit ihren Peinigern. Das weiss ich heute. Sie äusserte Sympathie mit dem Nazi-Regime und kuschte vor dem schlagenden Ehemann. Durch eine solche Identifikation können ehemalige Opfer zu Gewaltverbrechern oder Mördern werden. Die Hemmschwelle zur Gewalt sinkt und dann kann man plötzlich schlagen und töten oder jemanden psychisch quälen, wie Alice es als Mutter getan hat. Mir hätte das auch passieren können.

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