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Lauter glückliche Gesichter auf der Tanzfläche zu sehen, das ist das Ziel von Esther und Beat Berger aus Gossau. Nicolas Zonvi

Ein Tänzchen gegen das Vergessen

In der grossen Halle des Hauptbahnhofs Zürich schwingen am Sonntagmorgen Demenzkranke, Angehörige und Passanten das Tanzbein. Es ist wahrscheinlich der grösste Anlass, den Esther und Beat Berger aus Gossau mit dem Verein Alzheimer Zürich je organisiert haben.

Lauter glückliche Gesichter auf der Tanzfläche zu sehen, das ist das Ziel von Esther und Beat Berger aus Gossau. Nicolas Zonvi

Veröffentlicht am: 21.06.2019 – 11.30 Uhr

Sie haben ihre schicken Halbschuhe angezogen, ihre perfekt gebügelten Bundfaltenhosen, Ballonröcke und Blusen aus dem Schrank geholt und sich schön frisiert. Im grossen Saal des Kirchgemeindehauses Oberstrass in Zürich lassen sie nicht lange bitten, als über die Lautsprecher Musik die Luft erfüllt: «Tanze Samba mit mir» von Rex Gildo, «Que Sera Sera» von Doris Day, «Hände zum Himmel» von Hansi Hinterseer.   Eine der 45 Seniorinnen und Senioren, die sich an diesem Dienstagnachmittag zur Musik bewegen, ist Zita Leuthard. Die Zürcherin mit dem schneeweissen, halblangen Bob ist 93 Jahre alt, schwebt mit ihrem Tanzpartner aber so leichtfüssig und elegant durch den Raum wie ein junges Mädchen. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass sie in dunkelbraunen Nylonstrümpfen tanzt – ihre Schuhe hat sie nicht etwa in ihrer Pflegewohnung vergessen, vielmehr wollten ihre Ballerinas den Fliehkräften auf dem Parkett nicht standhalten.   Lauter glückliche Gesichter sehen
 
Leuthard stört sich nicht daran, lässt sich von ihrem Tanzpartner sogar zu einer Drehung nach der anderen hinreissen. Sie lacht, schaut dem 49-jährigen Mann, ihrem früheren Pfleger, der sie an diesem Nachmittag begleitet, tief in die Augen. Die beiden wirken vertraut – und mindestens so vergnügt. «Ich geniesse es sehr», sagt sie später vor der Tür, weil es drinnen so laut zu und her geht. «Mein Mann konnte nicht tanzen. Aber ich war schon immer ein Tanzfüdli.»   Lauter glückliche Gesichter auf der Tanzfläche zu sehen, das ist das Ziel von Esther und Beat Berger aus Gossau. Während sie immer wieder andere Seniorinnen und Senioren auf die Tanzfläche holt, sitzt er hinter dem Mischpult im vorderen Teil des Saals und sorgt dafür, dass die Lieder, die er auf dem Computer oder dem Plattenspieler abspielt, im richtigen Moment und in der richtigen Reihenfolge erklingen, dass sie den richtigen Ton und die richtige Lautstärke haben.  

Seit mehr als drei Jahren organisieren die ehemalige Pflegefachfrau und der pensionierte Geschäftsführer im Rahmen von «Josefinas Tanzcafé» Tanzanlässe für Menschen mit Demenz, an denen allerdings auch alle anderen bewegungsfreudigen Senioren hochwillkommen sind (wir berichteten). «Über ihre Gefühle kann man demente Menschen am besten in dieser neuen Welt erreichen, in der sie sich befinden. Sehr hilfreich dabei ist die Musik, da sie Emotionen weckt und längst vergessen geglaubte Erinnerungen wieder hervorruft», sagt Esther Berger.   Für die Tanzanlässe wählt sie darum alte Musik aus, die den dementen Leuten etwas bedeutet. Schliesslich kämen beim Musikhören und Tanzen Erinnerungsfetzen von vergangenen Ferien hoch, vom Verliebtsein in jungen Jahren. «Die Leute sagen zu mir, dass sie dieses oder jenes Lied früher immer gehört haben. Und ich selber stelle es mir sehr schön vor, wenn man etwas in sich wiederfindet, das man irgendwann mal gerne hatte, und einen Moment nochmals erleben darf. Dass sie beim Tanzen emotional sehr berührt sind, sieht man diesen Leuten an.»   Der wohl grösste Tanzanlass in riesiger Halle   Seit Anfang Jahr führen Esther und Beat Berger «Josefinas Tanzcafé» auch regelmässig in Zürich durch, weil die ehemalige SRF-Radiofrau Verena Speck, die dort Jahre zuvor einen ähnlichen Anlass ins Leben gerufen hatte, kürzertreten wollte. Und mitten in der Stadt Zürich wird am Sonntagmorgen der wahrscheinlich grösste Tanzanlass stattfinden, den die Bergers je mitorganisiert haben: In der grossen Halle des Hauptbahnhofs laden sie zusammen mit dem Verein Alzheimer Zürich Demenzkranke, deren Angehörigen und Freunde, aber auch alle Passanten zum Tanz ein.   «Dieser Anlass ist eine Herausforderung für uns, nur schon, weil die Bahnhofshalle nicht nur gross, sondern riesig ist. Aber zum Glück haben wir einen professionellen Techniker vor Ort, und die Leute sind einem in der Regel wohlgesinnt. Sogar dann, wenn mal eine Platte rückwärts läuft», sagt die 65-Jährige und lacht. Darüber hinaus würden sie am Anlass von der ganzen Familie unterstützt. «Der Partner unserer Tochter ist Schauspieler und Moderator und wird für uns ans Mikrofon stehen.»   Städter mögen rockigere Lieder   50 Lieder hat Esther Berger für das gemeinsame Tanzen in der Bahnhofshalle vorbereitet. Unter ihnen sind alte Schlager, zum Beispiel von Udo Jürgens, Albano und Romina Power oder Mireille Mathieu, aber auch Popsongs von Whitney Houston, The Village People oder Abba.   Berger versucht damit, den Geschmack der Teilnehmer zu treffen. In den letzten Monaten hat sie beobachtet, dass die Senioren aus der Stadt die rockigeren Lieder etwas mehr mögen als die Zürcher Oberländer. «Ob sich dann aber auch die Passanten von der ausgewählten Musik mitreissen lassen, ist wieder eine andere Frage», sagt sie.

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