Ungläubiges Staunen macht sich Luft: « 100‘000 Franken! » Soviel koste eine Thora, das Heilige Buch der Juden. « Sie ist etwas sehr Wertvolles » , erklärt Eden Brody. Dabei handle es sich um eine lange Rolle aus Pergament, von Hand beschrieben. « Wenn der Schreiber einen Fehler macht, muss er nochmals von vorne beginnen. » Das Schriftstück wäre sonst nicht mehr koscher, nicht mehr rein. « Eine Thora kauft man nicht einfach so. », erklärt der junge Mann den Schülern der ersten Sekundarklasse von Bauma.
Es ist Donnerstag Vormittag. Für einmal gestaltet nicht Lehrerin Tabea Steiner den Unterricht, sondern eben Brody und Nathalie Barsilai. Und für einmal lernen die Jugendlichen « Religion und Kultur » nicht nach Schulbuch, sondern in einer lockeren Fragerunde. Sie hören, was es mit dem Judentum genau auf sich hat – ein Thema, mit dem sie sich seit den Sommerferien befassen. Brody und Barsilai, 20- und 24-jährig, machen im Projekt « Likrat » des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) mit.
Dieses existiert seit 2002 und wird von der Eidgenossenschaft unterstützt. Das Ziel des Projekts: durch den Besuch von jüdischen Jugendlichen in Schulklassen Vorurteile abzubauen. « Aufeinander zugehen » bedeutet « Likrat » denn auch auf Hebräisch.
Fasten oder spenden
So ermunterte Brody die Klasse zu Beginn der speziellen Schulstunde, sich « einfach drauflos » zu erkundigen. Die Frage, wie man denn eine Thora kaufe, habe ihn überrascht, wird er im Nachhinein sagen. Schon während des Schulunterrichts hätte dies die Kinder interessiert, stellt Steiner fest. Sie selber sei überfragt gewesen. Und darum, unter anderem, habe sie an das Likrat-Projekt gedacht, von dem ihr eine Kollegin mal erzählt hatte.
Überhaupt scheint die hebräische Bibel die Schüler zu faszinieren. Immer wieder kommen sie darauf zurück. Lassen nicht locker, bis ihnen Brody erklärt, dass die Rolle beim Kauf mit Stoff umwickelt werde. « Und was passiert, wenn die Thora auf den Boden fällt? » Eigentlich müsste der, dem das Missgeschick passiert, dann 40 Tage fasten, entgegnet Brody.
Heute entscheide aber der Rabbiner über das genaue Vorgehen. Ob etwa alle, die es gesehen hätten, ersatzweise einen Tag fasten oder o b ersatzweise etwas gespendet werde. Dass Brody es ist, der hierzu die Antworten gibt, ist kein Zufall: Der 20-Jährige praktiziert die Religion strenger als Barsilai. « Die Idee von Likrat ist, jeweils zwei junge Menschen in die Klassen zu senden, die das Judentum unterschiedlich leben » , sagt er. Er gehe zwar selten in die Synagoge und bete auch nicht täglich, halte aber etwa den Schabbat und die koschere Ernährung hoch.
Fragen zur Partnerwahl
Dinge, die für Barsilai keine Bedeutung haben. Die Swiss-Angestellte sagt, dass sie auch an Samstagen arbeite und alles ausser Schweinefleisch esse. Und doch träume sie davon, dereinst eine jüdische Hochzeit zu feiern. Nur schon, weil sie bei der Gelegenheit ihre immense Verwandtschaft – ihre Eltern haben je acht Geschwister – sehen würde.
« Bei einer Heirat mit einem nichtjüdischen Mann käme kaum jemand. » Letztlich könne man aber nicht bestimmen, in wen man sich verliebe, sagt sie zur Frage nach der Partnerwahl. Brody sieht es ähnlich. « Ich lebe nicht in einer geschlossenen Gesellschaft. » Er habe auch schon eine muslimische Freundin gehabt.
Fragen zur Partnerwahl und zur Handhabung von Essens- und Ruhegeboten seien die Klassiker, sagt Brody später. Zwar ist der Besuch in Bauma erst sein dritter Likrat-Einsatz; von seinem Bruder aber, der schon lange dabei sei, habe er vieles mitbekommen. Zur Sprache käme zudem oft das düstere Kapitel Holocaust. Auch am Baumer Treffen erhält es einen grossen Stellenwert.
Positives Treffen
Von erstaunlicher Reife und tiefem Interesse zeugt da die Wissbegier der Schüler. « Habt ihr Angst vor einem zweiten Holocaust? » Brody zeigt sich zuversichtlich, dass die Menschheit aus der Geschichte gelernt habe. Barsilai gibt zu bedenken, wie einfach ein Volk beeinflusst werden könne. Ob sie die Deutschen hassen würden?, fragen die Sekklässler weiter. Das verneinen ihre Gesprächspartner zwar. Mit Leuten, die das Gedankengut der Nazizeit teilen, « würde ich aber gar nicht erst reden » , stellt Barsilai klar.
Über die hebräische Sprache und Schrift geht das Gespräch dahin, ob man auch Jude werden könne bis zur Bedeutung des Davidsterns und weiterem mehr. Die Zeit sei nur so verflogen, sagt Brody, als Steiner die Doppelstunde beschliesst. « Eine coole Klasse. » Auch die Lehrerin zieht eine positive Bilanz. Die Schüler hätten sich denn auch sehr auf den Besuch gefreut « Sie schätzen es, wenn sie sich selber einbringen können. »
Andrea Baumann
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