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David Mzee kann wieder gehen. Alltagstauglich ist das allerdings noch nicht. Foto: PD

«Der nächste grosse Schritt wird sein, freihändig gehen zu können»​​​​​​​

Forschern der ETH Lausanne ist in einer Studie Erstaunliches gelungen: Dank Elektroden im Rückenmark können drei querschnittsgelähmte Patienten wieder einige Schritte gehen. Einer davon ist der Wetziker David Mzee.

David Mzee kann wieder gehen. Alltagstauglich ist das allerdings noch nicht. Foto: PD

Veröffentlicht am: 07.11.2018 – 07.41 Uhr

David Mzee ist 30-jährig und wohnt in Wetzikon. Seit einem Sportunfall vor acht Jahren ist er querschnittsgelähmt. Sein  Rückenmark ist jedoch nur zu einem Teil durchtrennt.  Im Rahmen einer Studie an der ETH Lausanne wurde ihm eine Elektrodenplatte ins Rückenmark implantiert. Durch die Stimulation der beschädigten Nerven in Kombination mit einem strikten Trainingsprogramm lernten Mzee und zwei weitere Studienteilnehmer wieder einige Schritte zu laufen. Die Ergebnisse der Studie wurden Ende Oktober im Journal « Nature »  publiziert und fanden seither viel Beachtung.

Herr Mzee, sie tragen einen Computer im Rumpf und Elektroden im Rücken. Würden Sie sich als Cyborg bezeichnen?
David Mzee: Ich von mir aus nicht. Ein Freund von mir hatte diese Idee allerdings auch schon. Man kann es wohl schon so sehen. Aber ich kann die Elektrostimulation komplett selber auslösen, das heisst, ich bin nicht fremdgesteuert.

Während der Studie wurden die Elektroden aber von den Forschern in Lausanne gesteuert, oder?
Ja, am Anfang schon. Aber wenn ich nicht mitmache, dann zuckt höchstens der Muskel. Niemand konnte mich dazu « zwingen » , zu laufen.  

Wie war es, ein Versuchskaninchen  zu sein?
Sicher nicht nur grossartig. Anfangs war es für mich nicht angenehm, wenn mir Leute hinter einem Computer elektrische Ströme durch die Muskeln jagten. Aber ich wusste ja, worauf ich mich eingelassen hatte. Es war ein Lernprozess für alle. Manche dieser Beteiligten kommen eher von der technischen Seite, sie haben auch dazugelernt, was den Patientenkontakt betrifft. Und die Technik musste auch zuerst richtig eingestellt werden.

Und dann, nach viel Training und Ausprobieren, konnten Sie wieder einige Schritte laufen. Wie haben Sie sich dabei gefühlt?
Das war sehr speziell. Da hatte ich das tolle Gefühl, das man empfindet, wenn man etwas Grosses erreicht hat, auf das man lange hingearbeitet hat.

Haben Sie immer daran geglaubt, dass Sie wieder gehen könnten?
Ich habe eine inkomplette Lähmung, das heisst: Schon vor der Studie konnte ich mit Hilfsmitteln selber aufstehen. Deshalb dachte ich immer, dass es eventuell möglich sein würde, Fortschritte zu machen.

Fühlt sich das Laufen nun gleich an wie vor dem Unfall?
Anfangs fühlte es sich an wie Sprinten, egal, wie langsam ich mich bewegte. Ich musste immer Vollgas geben, für jeden Schritt. Und dann, plötzlich, begann sich die Bewegung viel mehr nach normalem Laufen anzufühlen: Mehr diese schwingende Bewegung. Das war auch ein sehr toller Moment. Da hatte ich das Gefühl: Jetzt können wir wirklich beginnen zu trainieren.

Umgekehrte Frage: Wie hat es sich für einen jungen, sportlichen Mann angefühlt, plötzlich nicht mehr laufen zu können?
Ich hatte mich während meines Sportstudiums bei einem Sprung in die Schnitzelgrube verletzt. Zuerst geriet ich in Panik, aber dann  –  noch während ich in der Schnitzelgrube lag –  entschied ich, mich aufs Atmen zu konzentrieren und darauf, dass es weitergehen würde. Ich denke, da hat meine Kampfsporterfahrung geholfen. Diese erste Entscheidung war schon ein wichtiger Schritt. Danach war es ein Prozess.

Mussten Sie sich studiumsmässig umorientieren?
Nein, Bewegungswissenschaften an der ETH ist ein «theoretisches» Studium, dass man auch im Rollstuhl beenden kann. Im Sportlehrdiplom hingegen gibt es viele Praxisfächer. Ich hatte das Glück, dass ich diese schon fast alle absolviert hatte. Ich wurde von der ETH auch super darin unterstützt, alles abschliessen zu können. Jetzt suche ich einen Job als Sportlehrer, beziehungsweise eine Schule, die bereit ist, sich auf dieses Experiment einzulassen.

Sie wären doch prädestiniert dazu, selber in die Forschung zu gehen.
Grundsätzlich schon. Forschung ist sehr interessant. Aber wenn man aufsteigt, wird es immer weniger Forschung und immer mehr Bürokratie, das will ich nicht. Mein Interesse an der Forschung hat mich allerdings überhaupt erst zur Studie gebracht. Während meines Aufenthalts im Balgrist war ich ständig mit den Forschern unterwegs, um ihnen über die Schulter zu schauen. Grégoire Courtine, der Professor, der die Studie in Lausanne leitete, hat das offenbar mitbekommen und so habe ich ihn schon vor sieben Jahren kennengelernt. Das heisst:  Ich habe die Methode schon gesehen, als sie noch an Ratten ausprobiert wurde .

Waren Sie sofort Feuer und Flamme, als Ihnen Grégoire Courtine damals vor sieben Jahren seine Idee erklärt hat?
Nicht wirklich. Ich war eher skeptisch, aber ich fand sie sehr interessant und war natürlich neugierig auf seine Resultate.

Nach sehr vielen Ratten wurde die erste Studie an Menschen mit nur drei Patienten durchgeführt. Wieso haben genau Sie dazugehört?
Ich war wohl primär zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Zudem gab es diverse Ein- und Ausschlusskriterien, die ich alle erfüllt habe.

Welche?
Zum Beispiel ging es um die Höhe der Lähmung. Aber es ist eine Weile her, genau kann ich mich nicht mehr daran erinnern.

Gab es Neid unter Ihnen Dreien, wenn jemand schneller Fortschritte machte?
Nein. Es gab einen  « Wettkampf »,  aber der war konstruktiv und motivierend.

Sind Sie noch im Kontakt mit den beiden anderen?
Ab und zu, es gibt einen Austausch, aber nicht täglich.

Wie hat sich Ihr Leben durch die wiedererlangte Gehfähigkeit verändert?
Ich kann mich im Bett besser umlagern, weil ich das eine Bein besser bewegen kann. Sonst hat sich wenig verändert. Ich brauche den Rollator, um Gehen zu können. Das heisst: Ich kann keine Pfanne vom Herd zum Tisch tragen. Der Rollstuhl ist praktikabler und effizienter.

Ist der Hype um diese neue Methode trotzdem gerechtfertigt?
Ja und nein. Für viele Patienten ist jede noch so kleine Verbesserung eine riesige Erleichterung. Die Signifikanz dieser kleinen Fortschritte wird unterschätzt. Zum Beispiel kann jemand vielleicht viel einfacher ins Auto steigen und das erleichtert den Alltag gleich um einiges. Deshalb ist der Hype gerechtfertigt. Zudem hoffe ich, dass die Erkenntnisse zu einem Paradigmenwechsel führen. Sie beweisen, dass die Annahme, eine Lähmung sei komplett irreversibel, falsch ist. Aber im Sinn von « Jetzt können wir bald Querschnittlähmung komplett heilen » , ist der Hype wohl nicht ganz gerechtfertigt. Bis dahin ist es noch ein langer Weg.

Wieso?
Der nächste grosse Schritt –  in meinem Fall –  wird es sein, freihändig gehen zu können. Das wäre dann auch viel alltagstauglicher. Das ist aber nochmals ungleich komplexer, weil zum Beispiel die Rumpfmuskulatur stark involviert ist.

Bereuen Sie es, den Aufwand betrieben zu haben, und jetzt kaum einen Alltagsnutzen zu haben?
Nein ich würde wieder mitmachen. Es war immer klar, dass die Forschung ganz am Anfang steht. Und die Teilnahme war noch auf ganz anderen Ebenen toll.

Auf welchen?
Ich habe extrem spannende Leute kennengelernt und Einblicke in die Forschung bekommen. Ausserdem bin ich in den Trainings herzkreislaufmässig richtig ans Limit gekommen. Wieder einmal den Schweiss im Gesicht zu spüren, das war sehr cool.

Sie sind Teil der Rollstuhlrugby-Nationalmannschaft, schwitzt man da nicht?
Viel weniger, denn meist ist da die Muskulatur der Arme und Schultern der limitierende Faktor und nicht das Herzkreislaufsystem.

Bringen Ihnen die Elektroden eigentlich etwas beim Rugby?
Ich habe die Elektrostimulation noch nie im Training ausprobiert und der Nutzen wäre wohl recht begrenzt. Zudem glaube ich, dass dies im Wettkampf nicht erlaubt wäre.

Hat Ihnen der Leistungssport auch etwas für das Training im Rahmen der Studie gebracht?
Dass ich es mich gewohnt bin, zu beissen, war sicher nicht schlecht.

Die Studie endete im Oktober 2017. Wie ging es danach weiter?
Ich habe noch bis Ende letzten Jahres regelmässig mit der Methode im Balgrist trainiert. Es gab weitere kleine Fortschritte. Danach lag es zeitlich nicht mehr drin. Ich habe gerade noch mein Lehrdiplom fertig gemacht und war viel mit dem Rugby beschäftigt. Aber jetzt will ich mir ein eigenes Laufband und einen Tragegurt anschaffen, um zuhause trainieren zu können. Ich bin gespannt, was dann noch möglich sein wird.

Jetzt wurden die Resultate der Studie publiziert, in einem der weltweit renommiertesten Wissenschaftsjournals. Zudem war die Studie und auch Sie als Person in vielen Medien. Empfinden Sie die Aufmerksamkeit als Belastung?
Zum Teil ja. Aber der Rummel kam ja nicht total unerwartet.

Von den drei Studienteilnehmern standen Sie am stärksten im Rampenlicht. Wieso?
Wahrscheinlich liegt das an meinen Sprachkenntnissen. Neben Deutsch kann ich auch gut Englisch. In der Westschweiz war es der französischsprachige Patient, der stärker im Fokus stand.

Wurden Sie schon erkannt?
Ja, bis jetzt etwa drei Mal. Das waren sehr positive Erlebnisse.


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