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Foto: PD / Seraina Boner

Ein Fass ohne Boden

Gioia Porlezza befasst sich in ihrem Standpunkt mit dem Sparen in der Politik. Sie ist überzeugt, dass eine zu starke Ausgaben-Mentalität herrscht.

Foto: PD / Seraina Boner

Veröffentlicht am: 19.11.2022 – 10.00 Uhr

Bis ich ungefähr 16 Jahre alt war, wurde mir Sparen als eine gute Sache verkauft. Meine Eltern und Grosseltern haben für mich ein Sparkonto angelegt. Mein Weihnachtsgeld habe ich auf die Seite gelegt und man hat mir immer gesagt «tues doch spare, denn chasch der mal öppis Schöns chaufe».

Sparen muss man lernen. Es ist der Verzicht auf etwas im «Jetzt», für etwas Ungewisses in der Zukunft. Es sind eine gewisse Geduld und Reizkontrolle gefragt. Es gibt viele Leute, die können das nicht. Und viele von denen sitzen in der Politik.

Vielleicht war diese Überleitung etwas abrupt. Abrupt bin ich auch auf dem Boden der Realität gelandet, als ich in diesem Jahr das erste Mal in meiner Funktion als Stadtparlamentarierin das Budget der Stadt Winterthur kritisch prüfen musste.

Ich bin definitiv kein Zahlengenie, ich mochte Mathe nie und ich würde auch nicht behaupten, dass ich mich mit Finanzen gut auskenne. Aber sogar ich verstehe, dass ein Schuldenberg von 1,2 Milliarden kein Klacks ist.

Ich habe mir die Zahlen perplex angeschaut und mich gefragt: Wenn man nun die Ausgaben kürzt, kann man das überhaupt Sparen nennen oder ist das nicht eher ein Akt erster Hilfe?

Winterthur rangiert 2020 auf dem Spitzenplatz: Ich muss Sie enttäuschen, es ist leider nichts Positives. Winterthur ist nämlich Siegerin in punkto Verschuldung pro Kopf. 14'555 Franken. Aber da scheinen bei niemandem die Alarmglocken zu schrillen. Oder vielleicht sind alle schon lange taub, wer weiss.

Wenn es nicht alarmierend wäre, könnte man darüber lachen. Aber Hauptsache, man diskutiert noch über vier autofreie Sonntage und über ein paar Bäume. Wer sieht schon den Elefanten im Raum, wenn niemand das Licht einschalten will?

Sparen in der Politik ist zu einem Schimpfwort geworden. Wer sparen will, ist automatisch jemand, der jemand anderem etwas wegnehmen will. Es wird nicht hinterfragt, ob die Ausgabe sinnvoll, effizient oder auch nur fair ist – Hauptsache, man nimmt sie niemandem weg.

Kennen Sie die Redewendung mit dem Finger und der ganzen Hand? So funktionieren die Finanzen – nicht nur in der Stadt Winterthur – auch in anderen Städten und schlussendlich auch beim Bund.

Und natürlich gibt es Bereiche, in denen ist das Hinterfragen von Ausgaben ganz tabu: Alles, was mit Klima beginnt oder irgendwo das Wort Fahrrad beinhaltet. Das ist eine finanzpolitische No-Go-Zone, wo einmal gesprochene Ausgaben moralisch gebunden sind. Für immer.

Wenn man das Wort Sparen durch Effizienz ersetzt, wird es nicht besser. Verwaltungen können schliesslich nur effizient sein, wenn sie genügend Personal zur Verfügung haben. Und genügend Personal heisst mehr Personal.

Bei der Stadt Winterthur bedeutet das einen Personalaufwand von sage und schreibe 510 Millionen Franken. Bei 120'000 Einwohnern von Winterthur bedeutet das 4250 Franken pro Kopf nur für Verwaltungspersonal.

In der Rechnung vom Jahr 2015 waren noch 427 Millionen Franken für den Personalaufwand budgetiert. Das ist eine Steigerung von fast 20 Prozent – bei einem jährlichen Bevölkerungswachstum von knapp einem Prozent. Da fragt man sich schon, ob … Ja, da frage ich mich so viel, dass es für einen einzigen Standpunkt nicht reicht.

Aber, man wählt als Politiker lieber das kleinere Übel: Schulden sind zwar nicht gut, aber Sparen ist noch schlimmer. Schulden kann man immer auf die nächste Generation abwälzen, die stimmen ja noch nicht ab.

Vom Sparen sind die heutigen Wähler betroffen. Das geht natürlich nicht. Man lebt ganz komfortabel nach der Devise «nach uns die Sintflut» – oder eher nach uns die Steuererhöhung. Denn wenn man bei den Ausgaben nicht schrauben will, dann muss man zu den Einnahmen schielen. So viel finanzpolitisches Wissen haben dann die meisten doch noch – denn es ist immer einfacher, das Geld anderer auszugeben als das eigene.

Ich nerve mich über diese Ausgaben-Mentalität. Es ist ein Fass ohne Boden und auf allen Ebenen verantwortungslos, nächsten Generationen sehenden Auges einen Schuldenberg zuzuschieben.

«Tues doch spare, denn chasch der mal öppis Schöns chaufe» – das gilt für unsere Finanzpolitik schon längst nicht mehr. «Tue der öppis Schöns chaufe, spare chönd denn die Nögste» – das ist die Realität, in die die Politik uns heute treibt.

Gioia Porlezza ist in Schlatt aufgewachsen und schreibt neben Standpunkten auch ab und zu Artikel für den «Tößthaler». Als Jungfreisinnige engagiert sie sich für die Anliegen der Jungen, damit Politik nicht nur der Politik willen, sondern für die nächste Generation gemacht wird. Seit März sitzt sie ausserdem für die FDP im Winterthurer Stadtparlament. 


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