Am letzten Wahlsonntag durfte ich mich glücklich schätzen: Tatsächlich hat es für den Einzug ins Winterthurer Stadtparlament gereicht. Ein bisschen gezweifelt habe ich schon: Reicht es, obwohl ich erst vor knapp einem Jahr in die Stadt gezogen bin?
Es hat gereicht. Und trotzdem kam irgendwie nicht dieselbe Freude auf, wie ich sie nach den Nationalratswahlen 2019 verspürt habe. Damals habe ich eine zu belächelnde Anzahl Stimmen gemacht – aber sie hat mich mit Stolz erfüllt.
Während der Auszählung der Stimmen wurden damals nämlich «nadisna» die einzelnen Resultate aus den Gemeinden gemeldet. Mal fiel man eine Viertelstunde lang weit nach hinten, mal holte man auf.
Ich holte auf und zwar da, wo ich ein Heimspiel hatte. Man könnte meinen, jeder und jede hätte irgendwo ein Heimspiel, schliesslich ist jeder irgendwo aufgewachsen. Anders als bei den meisten konnte man an meinem Namen sehr eindrücklich erkennen, in welcher Region ich zu Hause bin.
Das hat mich mit viel Stolz erfüllt. Bis heute muss ich lachen, wenn ich an die Episode nach den Wahlen zurückdenke: In unserem Gruppenchat der Jungfreisinnigen Kanton Zürich schickte jemand eine Karte des Kantons, wo die Wähleranteile sichtbar waren.
Der Grossteil der Karte war rot, zum Teil leicht grünlich und ein einziger kleiner, dunkelgrüner Punkt stach heraus, was bedeutete: Dort hatten wir, die Jungfreisinnigen, den grössten Wähleranteil. Verhältnismässig natürlich.
Die Stadtzürcher, welche Oerlikon als Agglo sehen und Winterthur als rural, fragten durcheinander, was das für eine Gemeinde sei. Warum da irgendwo im Nirgendwo so ein dunkelgrüner Punkt sei.
Wer mit der Maus über den Punkt fuhr, wusste es schnell: Schlatt wurde angezeigt. «Schlatt, das liit doch im Thurgau?!», war der Tenor. Ich wusste es besser und bald alle andern auch: Schlatt ist der Ort, wo ich aufgewachsen bin. Wo Fuchs und Hase nicht Bus fahren, denn, wenn man sich hier «gute Nacht» sagt, fährt schon längst kein Bus mehr.
Es hat mich damals mit Stolz erfüllt, und tut es heute noch. Und genau das ist es, was ich unter Politik verstehe: Dass man die Menschen kennt, denen man vertraut. Sei es vom Sehen, vom Lesen oder vom Grüssen. Man weiss, welche Werte diese Person lebt.
Mich macht es nicht stolz, dass Menschen mich wählen – mich macht es stolz, dass Menschen, die mich offensichtlich kennen, mir ihr Vertrauen schenken. Ich kenne noch lange nicht jeden Schlatter und jede Schlatterin persönlich, geschweige denn jeden und jede aus dem Tösstal. Und trotzdem steht man zusammen.
Schlatt, das ist Heimat für mich. Mein Heimatort ist im Tessin, mein Nachname wird für immer exotisch bleiben und geboren bin ich auch nicht hier. Und trotzdem ist es für mich selbstverständlich, dass, wenn mich jemand nach meiner Heimat fragt, ich Schlatt sage.
Ich habe viele Erinnerungen, die untrennbar damit verbunden sind: In Karis Stall habe ich zum ersten Mal eine Melkmaschine benutzt, mit den Hofwelpen in derselben Kiste geschlafen, Kühe von der Weide geholt. War ich eine grosse Hilfe? Vermutlich nicht. Ist es eines der besten Kindheitserlebnisse? Auf jeden Fall.
Bei Ueli durften wir mit «Kiri» unser eigenes Kalb haben und auf dem Traktor mitfahren, als Kind natürlich ein Heidenspass. Bei Schiess wurde Glace geholt und bei Rosmarie und meinem Götti Stephan gab es Zucchetti-Kuchen und «Quittepästli».
Der Wald wurde auf Göttis Schultern entdeckt, die «Bärehöhli», die wir gefunden haben, ist heute noch ein Ort, an dem ich gerne die Ruhe geniesse.
Und was für Schlatter wären wir, wenn wir nicht alle einen Heidenrespekt vor dem Busfahren gehabt hätten: Die Familie Steiger ist der Grund, weshalb ich bis heute im Bus weder esse noch trinke und weshalb ich auf der Strecke von Oberschlatt nach Elsau die gesamte Zeit aus dem Fenster schauen und mich an Bus-Anekdoten erinnern kann, die mich zum Lachen bringen.
Das ist ein schönes Gefühl. Und dieses Gefühl, das ist Heimat für mich.
(Gioia Porlezza)
Gioia Porlezza ist in Schlatt aufgewachsen und schreibt neben Standpunkten auch ab und zu Artikel für den «Tößthaler». Als Jungfreisinnige engagiert sie sich für die Anliegen der Jungen, damit Politik nicht nur der Politik willen, sondern für die nächste Generation gemacht wird.
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