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Die Thingstätte in Heidelberg diente den Nationalsozialisten zu Kult- und Propagandazwecken. Keystone

Frisbee spielen auf der Nazi-Tribüne

Im Klartext fragt sich Redaktor Lukas Elser, wie man sich auf ehemaligen Stätten der Nationalsozialisten verhalten soll.

Die Thingstätte in Heidelberg diente den Nationalsozialisten zu Kult- und Propagandazwecken. Keystone

Veröffentlicht am: 11.09.2018 – 20.15 Uhr

Am Samstag besuchte ich in Heidelberg die «Thingstätte». Es handelt sich um ein 25 Meter hohes, streng ausgerichtetes Amphitheater, dessen Stufen auf ein kahles Podium und eine steinerne Abschlusstribüne zulaufen.

Die Nazis liessen das imposante Bauwerk 1934 errichten, weil sie glaubten, dass auf dem Hügel über der Stadt einst ihre selbsternannten Vorfahren, die Germanen, ihren Göttern gehuldigt hatten. Nach Hitlers Vordenker, Joseph Goebbels, sollte hier ein Kultplatz für die Austragung von «völkischem Theater» entstehen – mit einigem Erfolg: Zur Eröffnung des Kultorts sollen 20’000 Personen auf den Hügel gepilgert sein.

Heute ist der Germanen-Tempel Touristenattraktion und Spielplatz. Ausländern bietet er mit seinem Standort mitten im Wald einen wohligen Geschichtsgrusel. Und Eltern haben einen Platz zum Entspannen: Während am Samstagnachmittag die Knirpse unten auf der Tribüne Frisbee spielten, schauten ihnen die Eltern vom obersten Treppenabsatz zu, assen dabei Melone und unterhielten sich über Alltäglichkeiten.

Als unbedarfter Schweizer war ich zuerst etwas baff: Da machen im Osten Deutschlands Neonazis schamlos den Hitlergruss und prügeln auf Flüchtlinge ein, und hier, wo die Nazis einst ihre «Blut- und Boden»-Ideologie verbreiteten, herrscht Ferienstimmung, dachte ich.

Aber kann man von den Besuchern der Stätte verlangen, dass sie mehr als 80 Jahre später immer noch die gleiche Sprachlosigkeit befällt, wie sie die Nachkriegsgeneration in einer Art kollektivem Schuldgefühl lange mit sich herumtrug? Bedeutet ein nachhaltiger Umgang mit der Geschichte, dass man Mahnmale zu Tabuzonen für jede Art von Freude erklärt?

Ich mag es nicht, wenn meine südamerikanischen Freunde zu locker mit dem Thema umgehen und mich mit «Heil Führer» begrüssen. Oder wenn Touristen im KZ Dachau jauchzend für ein Selfie posieren. Aber deplatzierte Sprüche und pietätsloses Verhalten sind mir hundertmal lieber als das Verhalten derjenigen, die das vergangene Verbrechen totschweigen, sodass es vom «Unaussprechlichen» immer mehr zum Nie-Dagewesenen wird. Oder noch schlimmer, wenn sie die Vergangenheit aktiv aus dem kollektiven Gedächtnis löschen, wie AfD-Politiker Björn Höcke, der das Holocaust-Mahnmal in Berlin als «Denkmal der Schande» bezeichnete und es am liebsten aus der Hauptstadt verbannen würde.

Der Ansatz der Heidelberger Jugend war da konstruktiver: Von 1980 bis 2017 pilgerten sie jedes Jahr zur Thingstätte, um ihre eigene Version der Walpurgisnacht zu feiern. Damit befreiten sie sich vom Joch der Nazis und wählten selbst, auf welchem Boden sie wachsen wollten. Und solange sie dabei die Realität der Vergangenheit nicht ganz ausblenden, haben die Jungen auch das Recht auf eine unbelastete Zukunft.


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