
Dieser Beitrag wurde in der Verlagsbeilage «50Plus» veröffentlicht, die am 5. April mit dem «Zürcher Oberländer» und dem «Anzeiger von Uster» erschienen ist.
Frau Utzinger, wieso und wann sind Sie Tierschützerin geworden?
Susy Utzinger: Das werde ich oft gefragt. Es war kein bewusster Entscheid. Ich bin mit Tieren aufgewachsen. Deshalb besteht meine Tierliebe, soweit ich mich erinnern kann, und zeigt sich als Pfad durch mein Leben. Als dann vor vielen Jahren unser Familienhund unter den Zug kam und ihn niemand transportieren konnte, gründete meine Familie die Tierambulanz. Das ist heute der TierRettungsDienst, zu dem auch das Tierheim Pfötli gehört – eine
grosse, hoffentlich bald schweizweite Organisation, die hochprofessionell arbeitet und Tausende Tiere pro Jahr aufnimmt. Als weiterer Schritt ergab sich die Gründung der Susy Utzinger Stiftung für Tierschutz. Auch durch meine
Arbeit als Journalistin kam ich in der ganzen Schweiz herum, bis ins Ausland, und erhielt tiefe Einblicke in diese Problematik.
Für viele Menschen mag Ihr Beruf romantisch klingen…
Sie sprechen von romantisierten Fotos mit weinenden Frauen, die Tiere streicheln? Genau das ist ein grosses Problem. Der Beruf erfordert viel Fachwissen und ist herausfordernd, wenn man ihn richtig ausübt. Tiere streicheln zu dürfen, ist das Dessert und hat nichts mit Tierschutz zu tun. Leider denken viele Laien, dass man damit ganz einfach starten kann, doch so ist das nicht. Mittlerweile haben wir den Verband Arbeitswelt Tierschutz Schweiz gegründet und bieten eine zweijährige Ausbildung zur Fachperson Tierschutz an, die viel Know-how vermittelt.
Ich bin mit Tieren aufgewachsen. Deshalb besteht meine
Tierliebe, soweit ich mich erinnern kann.Susy Utzinger, Tierschützerin
Was bedeutet für Sie nachhaltiger Tierschutz?
Das Problem an der Wurzel anzupacken. Grob zusammengefasst: aufklären, aus- und weiterbilden, Tiere kastrieren und Tierheime unterstützen. Probleme wie unüberlegte Tieranschaffungen, falsche Tierhaltungen sowie Tierhandel, -zucht oder -vermehrung, aufgrund welcher der Tierschutz überhaupt existiert, sollen in naher Zukunft nicht mehr bestehen. Auch sollte jeder Mensch verletzten Tieren auf Strassen helfen können. Nachhaltigen Tierschutz zu betreiben, ist aufwendige Arbeit, erfordert Gesetzesanpassungen und aktive Einsätze.
Nachhaltigen Tierschutz zu betreiben, ist aufwendige Arbeit.
Wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten Jahrzehnten verändert?
Im Rückblick auf die vergangenen 40 Jahre hat sich zum Glück viel verändert. Ich freue mich sehr darüber, dass viele Tierhalter sehr vieles gut und richtig machen, und auch darüber, dass der Tierschutz immer mehr in den Medien berücksichtigt wird und dazu beiträgt, dass Tierhalterinnen und -halter mehr über artgerechte Tierhaltung erfahren. Auch Tierschutzfälle und Tierleid erhalten Gewicht und damit einen Platz in den Köpfen der Bevölkerung – so kommen wir alle Schritt für Schritt weiter in Richtung Verminderung und Verhinderung von Tierleid. Leider gibt es
aber auch einiges, das sich nicht verändert oder wieder verschlechtert hat.
Wovon sprechen Sie?
Beispielsweise die Katzenkastrationen. Hier waren wir auf einem guten Weg. Wir haben jahrelang verwilderte Katzen kastriert. Doch dann kam bei vielen Katzenhaltern die Idee auf, dass jede Katze Babys brauche und Katzen so anspruchslos seien, dass man 20 von ihnen halten könne. Jetzt haben wir wieder eine Überpopulation. Auch gegen Echtpelz haben wir gekämpft. Leider ist die Industrie sehr clever und liess die schlimmen Bilder von früher verschwinden. Nun laufen die Leute wieder vermehrt mit Echtpelz herum.
Wie stehen Sie zur Tierhaltung im Allgemeinen?
Grundsätzlich denke ich natürlich, dass alle Tiere frei herumrennen und nicht in eine Form gedrängt werden sollten. Das wünsche ich mir übrigens auch für uns Menschen. Doch wie wir arbeiten gehen müssen, um Geld zu erhalten,
gehören auch Haustiere in einen gewissen Rahmen, müssen etwas lernen und Regeln befolgen.
Was halten Sie vom Konzept Zoo?
Ich finde es traurig, dass es Zoos gibt. Ich sehe gerne Tiere, aber nicht eingesperrte. Es gibt jedoch verschiedene Zoo-Konzepte. Im Ausland habe ich in Zoos oftmals himmeltraurige Erfahrungen gemacht, wenn hinter dem Konzept beispielsweise ausschliesslich das Zur-Schau-Stellen von Tieren und schlechte Tierhaltung stecken. Einzelne zoologische Gärten setzen sich wiederum für die Population von Wildtieren ein oder wollen die Bevölkerung aufklären. Das funktioniert aber nur, wenn man sich auch für den Lebensraum der Tiere einsetzt.
Wir arbeiten für die Tiere und nicht, um uns glücklich zu machen.
Die Corona-Krise, der Ukraine-Krieg und das Erdbeben in der Türkei und in Syrien haben weltweit grosses Leid für Mensch und Tier verursacht. Sie helfen, wo Sie können. Wie gehen Sie mit solchen Schicksalsschlägen um?
Schicksalsschläge sind erschöpfend. Beruflich muss ich die Scheuklappen anlegen, die Probleme sehen und sie lösen. Wir arbeiten für die Tiere und nicht, um uns glücklich zu machen. Als kleines Team stemmen wir enorm viel Arbeit. Unsere Kapazität ist limitiert. Corona konnten wir gut meistern. Der Krieg warf uns massiv zurück. Niemand hat damit gerechnet – und dann noch in nächster Nähe. Wir bekamen laufend Bilder via Telegram und erfuhren
sofort, wenn eine Bombe in ein Tierheim einschlug. Ich bekomme Hühnerhaut, wenn ich daran denke.
Im Jahr 2020 haben Sie privat einen sehr schweren Schicksalsschlag erlitten. Ihr Mann ist an Krebs gestorben. Wie geht es Ihnen heute?
Bis eben habe ich gedacht, ich könnte nun besser darüber reden, doch ich muss auch jetzt wieder weinen. Zum Glück habe ich ein ganz tolles Umfeld, das auch in der Zeit vor dem Tod meines Mannes da war. Diese Zeit war erschöpfend. Wir haben sechs Jahre lang gekämpft, sind von MRI zu MRI gerannt, und der Tumor wuchs immer weiter. Als mein Mann starb, brauchte ich eine Pause. Bis dahin war ich stark, doch danach war es nicht mehr gut. Heute fühle ich mich wieder besser, aber ich habe dadurch gelernt, mir vermehrt kleine Auszeiten zu nehmen
In Ihrem Buch «Heimatlos» beschreiben Sie Ihre Kindheit als schwierig. Was würden Sie Ihrem jüngeren Ich mit Ihrer heutigen Erfahrung empfehlen?
Es passierte sehr viel Schlimmes in meiner Kindheit, das mich schliesslich meine Familie kostete. Dieses Thema streife ich in meinem Buch nur, weil ich nicht will, dass es im Detail an die Öffentlichkeit kommt. Aus heutiger Sicht
würde ich mich noch früher von meiner Familie zurückziehen, weil ich weiss, dass es sowieso so kommt. Rückblickend hat es diesen langen, schweren Prozess gebraucht.
Was gibt Ihnen den nötigen Antrieb, dass Sie sagen können: «Es lohnt sich, trotz Rückschlägen, stets dranzubleiben»?
Meine Arbeit im Tierschutz und mein tolles Umfeld. Wir sind sehr stark miteinander vernetzt, haben gemeinsam viel erreicht und tauschen uns, auch international, intensiv aus. Wir teilen Freude und Erfolg und sind wie eine Familie.
Wir arbeiten aus denselben Gründen – für die Tiere und nicht für das Geld. Ende Monat sind wir sowieso bei null, und genau so soll es sein. Was wir für die Tiere einnehmen, geben wir für die Tiere wieder aus.
Was wir für die Tiere einnehmen, geben wir für die Tiere
wieder aus.
Was schätzen Sie am Älterwerden?
Ich registriere es nicht besonders stark und denke auch nicht viel darüber nach. Körperlich geht es mir sehr gut, und ich bin dankbar für all die Weisheit, die ich nun habe. Im Moment lerne ich in Sachen Work-Life-Balance viel dazu.
Seit mein Mann gestorben ist, schleicht sich nämlich mein Workaholismus wieder etwas ein. Ich bin von meiner Arbeit sehr angefressen und ständig für alle erreichbar. Ich brenne für sie, doch sie brennt mich nicht aus.
Was fällt Ihnen heute leichter als früher?
Ich lerne gerade, ohne schlechtes Gewissen freizumachen (lacht). Früher konnte ich das gar nicht. Ich war fast zwanghaft unermüdlich. Heute erkenne ich meine Grenzen schneller. Mein Körper und meine Psyche schlagen
schneller Alarm. Ich halte Arbeitszeiten besser ein und mache manchmal bereits um 17 Uhr Feierabend – wenn auch mit einem schlechten Gewissen (lacht).
Welche Tipps haben Sie, um so aktiv zu bleiben, wie Sie es sind?
Meine Hunde sind meine Personal Trainer und halten mich fit. Dank ihnen gehe ich täglich raus. Ohne sie fiele mir das schwerer. Wenn ich mir etwas Gutes tun möchte, gehe ich gerne wellnessen oder arbeite in meinem geliebten Garten. Ich bin offen und neugierig und lerne gerne Neues. Jeden zweiten Tag treibe ich für mindestens zehn Minuten Sport, damit die Muskeln da bleiben, wo sie hingehören.
Was möchten Sie in Ihrem Leben unbedingt noch machen?
Ehrlich gesagt: nichts. Was mir das Leben vor die Füsse legt, packe ich an und erlebe es. Früher konnte ich als Journalistin auf Reisen so viel erleben. Damals sagten alle: «Spare für die Zukunft.» Aber das tat ich nicht. Ich entschied mich zu leben. Das Reisen gibt einem das, was man nicht kaufen kann. Ich durfte so viele Länder besuchen und viele schöne Erfahrungen machen. Dadurch habe ich meine Mitte gefunden und bin angekommen.
Interview: Tanja Frei