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Gesellschaft
Raphaela Hügli berät Paare

Raphaela Hügli, lic. phil. Psychologin aus Wetzikon, berät Paare und Familien und arbeitet im Präventionsbereich. Fotograf, PD

Verlagsbeilage «50 Plus – Mitten im Leben»

So überstehen Eltern das Empty-Nest-Syndrom

Raphaela Hügli, lic. phil. Psychologin aus Wetzikon, erklärt, was hinter dem sogenannten Empty-Nest-Syndrom steckt, und gibt Tipps zum Loslassen.

Raphaela Hügli, lic. phil. Psychologin aus Wetzikon, berät Paare und Familien und arbeitet im Präventionsbereich. Fotograf, PD

Veröffentlicht am: 04.04.2023 – 23.01 Uhr

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Dieser Beitrag wurde in der Verlagsbeilage «50Plus» veröffentlicht, die am 5. April mit dem «Zürcher Oberländer» und dem «Anzeiger von Uster» erschienen ist.

Frau Hügli, was ist das Empty-Nest-Syndrom, und woher kommt der Begriff?

Raphaela Hügli: Empty-Nest-Syndrom bedeutet übersetzt «Leeres-Nest-Syndrom» und tritt besonders dann auf, wenn auch das letzte Kind ausgezogen ist. Einige Eltern sind damit überfordert, dass das Nest respektive das Haus wieder leerer und ruhiger ist. Eine gewisse Traurigkeit breitet sich bei ihnen aus. Werden die Gefühle der Trauer, der Leere und das Gefühl des Trennungsschmerzes sehr intensiv, kann sich eine psychische Störung entwickeln. Wobei die meisten Eltern kein Empty-Nest-Syndrom entwickeln. Sie meistern diesen Übergang trotz ambivalenten Gefühlen gut.

«Je früher man sich Hilfe holt, desto besser ist die Behandlungsprognose.»

Raphaela Hügli, lic. phil. Psychologin

Was sind die Symptome dieses Syndroms? Welche Erfahrungen machen Betroffene?

Das Empty-Nest-Syndrom ist eine Gefühlslage, welche geprägt ist von Trauer, Leere, Verlust und Einsamkeit. Bei so einer Lebensveränderung, wie beim Auszug der Kinder, ist es normal, dass wir emotional reagieren. Es gibt aber Menschen, bei denen die negativen Gefühle überhandnehmen und die dann eine sogenannte Anpassungsstörung entwickeln. Die Anpassung an die Veränderung, welche durch den Auszug der Kinder geschieht, gelingt nicht. Fakt ist: Es ist entscheidend, wie Eltern den Auszug des eigenen Kindes persönlich bewerten und welche Ressourcen zur Bewältigung dieses vorhersehbaren Lebensereignisses zur Verfügung stehen. Je früher man sich Hilfe holt, desto besser ist die Behandlungsprognose.

Was ändert sich, wenn das Kind auszieht?

Im Lebensverlauf eines Menschen gibt es verschiedene prägende Phasen durch Veränderungen: die Einschulung, der Einstieg ins Berufsleben, die Entscheidung, ob man Kinder haben möchte, oder die Pensionierung. Auch wenn die Kinder ausziehen, ist das für Eltern ein prägendes Ereignis. Viele haben nach dem Auszug das Gefühl, dass ihre Lebensaufgabe nun abgeschlossen und weg ist. Sie wissen nicht, was sie jetzt machen sollen – so allein und nur mit sich selbst. Sie müssen wieder ihre eigene Struktur in den Alltag bringen und den eigenen Vorlieben und Interessen nachgehen, sich um sich selbst kümmern. Das kann nach einer im Durchschnitt 24 bis 25 Jahre langen Lebensaufgabe herausfordernd sein.

Leiden Mütter und Väter gleichermassen?

Das ist unterschiedlich. Für Väter kommt der Auszug der Kinder jedoch oftmals überraschender als für Mütter. Die meisten Väter arbeiten in einem höheren Pensum und sind weniger zu Hause als ihre Partnerin. Die Partnerinnen wiederum begleiten öfters ihre Kinder über den ganzen Tag und beschäftigen sich aktiver mit diesem Thema. Sie tauschen sich mit Kolleginnen aus, die auch gerade in dieser Situation sind. Väter reden weniger darüber, beginnen oft erst zu reflektieren, wenn das Kind bereits weg ist, und hinterfragen dann, ob sie in dessen Wachstum etwas verpasst haben.

«Es gibt Elternteile, die grosse Mühe mit dem Auszug der Kinder haben.»

Wie sieht es bei Alleinerziehenden aus?

Auch bei Alleinerziehenden gibt es beide Seiten. Es gibt Elternteile, die grosse Mühe mit dem Auszug der Kinder haben, aber auch solche, die sich auf diese Veränderung freuen. Bei Alleinerziehenden besteht leider noch eher die Gefahr, dass sie sich einsam und allein fühlen, weil es zu Hause dann komplett still ist.

Wann sollte man sich Hilfe holen?

 Wenn Selbsthilfe, wie sich austauschen, themenspezifische Bücher lesen oder allgemeine Selbstfürsorge, nichts mehr bringt, empfehle ich, so früh wie möglich einen psychologischen Beratungstermin zu vereinbaren, um sich der Situation und seinen Gefühlen stellen zu können. Auf keinen Fall sollte man die negativen Gefühle verdrängen. Wenn diese aber trotz Beratung weiter bestehen, sollte man sich Unterstützung bei einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin suchen.

Wie lange dauert dieser Veränderungsprozess?

Das ist individuell. Wenn Betroffene effektiv eine Psychotherapie benötigen, dauert es einige Monate, bis eine deutliche Besserung eintritt.

Welche Tipps haben Sie für Eltern und Kinder, um die Ablösung positiv zu beeinflussen?

Es hilft, wenn man mit dem Partner oder der Partnerin, mit Gleichgesinnten sowie natürlich mit dem Kind spricht und sich aktiv mit dem Ablösungsprozess auseinandersetzt. Es gehört zum Leben, dass Kinder irgendwann ausziehen. Wenn man sich das immer wieder bewusst macht und sich auch mit dem Kind auf unterstützende Art und Weise austauscht, kann man sich mental gut auf diesen Schritt vorbereiten. Es ist schön für das Kind, wenn ihm vermittelt wird, dass es auch nach dem Auszug immer willkommen ist. Eltern dürfen nicht vergessen, dass es genauso eine Veränderung durchmacht wie sie. Es findet zwar mit dem Auszug eine räumliche Distanzierung statt, aber die elterliche Liebe bleibt bedingungslos bestehen. Häufig verändert sich die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung nach dem Auszug nochmals zum Positiven. Eltern dürfen auch stolz auf sich sein, dass sie es geschafft haben, ein Kind grosszuziehen, das nun selbständig leben kann.

Gibt es ein Alter, ab welchem die Kinder grundsätzlich ausziehen sollten?

Da gibt es keine effektive Zahl. Für Eltern ist es aber sicher beruhigend, wenn sie sehen, dass die eigenen Kinder fähig sind, allein zu leben, ein sicheres Standbein im Leben haben wie einen guten Beruf und ein tolles soziales Umfeld.

«Nach dem Auszug der Kinder müssen Paare wieder zueinanderfinden.»

Inwiefern verändert der Auszug der Kinder eine Partnerschaft?

Wenn Kinder ins Leben kommen, bringen sie eine Partnerschaft automatisch etwas auseinander, da sie für eine lange Zeit die volle Aufmerksamkeit und Zeit benötigen. Nach dem Auszug der Kinder müssen Paare wieder zueinanderfinden. Diese Veränderung ist eine Chance, die Partnerschaft neu aufleben zu lassen. Man hat wieder mehr Zeit füreinander, mehr Raum für einen aktiven Austausch und kann wieder öfter gemeinsamen Hobbys nachgehen. Ich empfehle jedem Paar, ob es Kinder bekommt oder nicht, sich gemeinsam ganz bewusst mindestens eine Stunde pro Woche Zeit für ein Gespräch zu nehmen und sich über die eigene Paarbeziehung auszutauschen. Ein wöchentliches Paar-Update sozusagen ist die beste Prävention, dass man auch nach dem Auszug der Kinder gemeinsam in eine neue Lebensphase starten kann, statt sich plötzlich schweigend am Esstisch gegenüberzusitzen.

Interview: Laura Knecht

Nest mit Fragen für Betroffene
Raphaela Hügli geht ihre Beratungen auf eine systematische Art und Weise an: mit einem "Kartenspiel". Laura Knecht

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