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Kleingeld, bitte ein wenig Kleingeld!

Veröffentlicht am: 09.08.2020 – 09.00 Uhr

Bill Gates und die Chinesen haben ganze Arbeit geleistet. Was Banken und Kreditunternehmen während Jahren erfolglos versucht haben, ist plötzlich möglich, ja gar so etwas wie eine heilige Pflicht: Seit Corona bezahlen wir Inländer für Waren und Dienstleistungen nicht mehr mit unserem geliebten Bargeld, sondern mit Karte. Die Obrigkeit möchte das so, und wir halten uns daran, weil wir ja nicht zum Superspreader werden und durch das Verbreiten von Viren mittels Banknoten und Münz für den Tod Tausender verantwortlich sein wollen.

Dass man nun nachverfolgen kann, wann ich wo zu welchem Preis einen Vierfruchtkaugummi gekauft habe, ist dabei nicht mal das grösste Problem. Auch wenn es mir dereinst zum Verhängnis werden könnte, wenn ich mich bei einer Nichtregierungsorganisation als Hauswart bewerbe und dann rauskommt, dass ich zwölf Jahre zuvor ein Produkt eines ausbeuterischen Multis erstanden hatte.

Das bedrohte Gleichgewicht

Viel schwerer wiegt für mich: Mir geht das Münz aus. Denn der Umlauf von Kleingeld basiert auf dem Prinzip eines sich stetig wiederholenden Kreislaufs des Gebens und Nehmens. Man bezahlt mit Kleingeld an der Kasse oder am Automaten und bekommt wiederum Kleingeld zurück, wenn man ein Nötli auf den Tresen legt oder in den Schlitz schiebt. Ein Gleichgewicht, das seit Äonen besteht und sich bestens bewährt hat.

Doch das ist jetzt durcheinander gekommen. Denn obwohl mittlerweile vielerorts selbst Kleinstbeträge kontaktlos mit Karte oder einer App bezahlt werden können, gibt es immer noch viele Geräte, die noch nicht in der neuen Normalität angekommen sind und einem so lange das Münz aus der Tasche ziehen, bis man einfach keines mehr hat.

Nahtoderfahrung vor dem Snackautomaten

Was nach einem klassischen Erste-Welt Problem klingt, kann durchaus gefährlich werden. Der Getränke- und Snackautomat auf meiner Redaktion zum Beispiel ist so ein Uralt-Teil, das die Waren nur gegen Bares rausrückt. Es ist schon mehrmals vorgekommen, dass ich halb verhungert und komplett dehydriert vor dem Automaten zusammengebrochen bin, weil ich kein Kleingeld hatte.

Alles andere als angenehm war neulich die Situation, also mich ein Penner um Kleingeld anbettelte und ich ihm wahrheitsgetreu sagte, dass ich keines habe, worauf ER MICH laut brüllend als Asozialen bezeichnete. Ich wollte ihn noch auf den ironischen Aspekt seiner Aussage hinweisen, doch da war er schon damit beschäftigt, auf seinen Hund einzutreten, der ihm blöd gekommen war.

Mittlerweile befürchte ich gar, dass mich das Ganze noch in den Knast bringen wird, verspüre ich doch in immer kürzeren Abständen eine kaum mehr zu bändigende kriminelle Energie in mir aufsteigen. Das letzte Mal gestern, als ich hinter einer Seniorin an der Kasse stand, im Wissen, dass ich kein Münz für das Parkticket habe, und die Dame vor mir mit ihren zittrigen Fingern fast schon aufreizend im Kleingeld in ihrem Portemonnaie wühlte. « Hey du » , rief da meine böse innere Stimme, « schnapp dir das Zeug und hau ab – die Alte wird dich nie kriegen! »

Der Münz-Junkie auf der Post

Manche Leser denken nun vielleicht: Was für ein Blödmann, soll er doch zur Post gehen statt alte Frauen auszurauben. Nun, das habe ich auch getan. Immer und immer wieder. Doch leider ist das nicht mehr so einfach wie früher. Da ging man zum Schalter, verlangte nach einer Rolle Zweifränkler und drei Rollen Fünfziger – und das Portemonnaie war wieder für eine Woche gefüllt.

Doch seit einiger Zeit tut sich die Post zunehmend schwer mit Gratisdienstleistungen. Da wird man gefragt, ob man die Kleingeldrollen telefonisch vorbestellt habe. Was man natürlich nicht hat. Und dann muss man bittibätti machen. Das letzte Mal kam ich mir gar vor wie ein Junkie. Denn die Frau am Schalter fragte mich mit abschätzigem Blick, ob ich nicht schon vor drei Tagen nach Münzrollen gefragt hätte. Mit Tränen in den Augen schluchzte ich: «Ja, ich gestehe alles, aber ich brauch doch den Stoff.» Worauf mich der Sicherheitsdienst aus der Filiale begleitete.

Bitte denken Sie ja an diese kleine Geschichte, liebe Leserin, lieber Leser, wenn Sie das nächste Mal auf der Strasse von einem verzweifelten Typen angesprochen und um Kleingeld angebettelt werden. Vielleicht bezahlt der arme Mensch ja immer pünktlich seine Steuern und hat Tausende Franken auf seinem Konto – aber einfach kein Münz für den Parkautomaten.

Thomas Bacher ist überzeugt davon, dass die Welt um ihn herum immer verrückter wird. Seinen Psychiater möchte er damit nicht belästigen, viel lieber schreibt er darüber.


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