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Liebe Wirrköpfe, bleibt zu Hause!

Veröffentlicht am: 13.05.2020 – 10.10 Uhr

Was war das für eine Einigkeit, die in unserem Land während der ersten Corona-Wochen herrschte. All die gesellschaftlichen Gräben wirkten plötzlich wie zugeschüttet. Linke und Rechte, Hipster und Hillbillys, Veganer und Rindfleisch-Puristen, ja sogar Näniker und Rest-Ustermer – sie alle schienen am selben Strang zu ziehen und sich hinter diesem einen, gut gemeinten Aufruf zu versammeln: «Bleibt zu Hause!»

Zugegeben, mir ging das Ganze bisweilen etwas zu weit. Diese #stayhome-Ermahnungen von Influencerinnen und Influencern; diese Journalisten-Kollegen, die plötzlich in der Kommunikationsabteilung des BAG zu arbeiten schienen; dieser seltsame politische Schulterschluss, der seit Jahrzehnten bewährte (und notwendige) Fronten aufweichen liess. Alles etwas befremdlich.

Mittlerweile frage ich mich aber, ob dieser paternalistische Wohlfühlkonsens eigentlich nicht ganz ok war. Jedenfalls sind mir die mahnenden, besserwisserischen, aber durchaus gutgesinnten «Bleibt-zu-Hause!»-Turbos lieber als jene Elemente, die nun, nach den ersten Lockerungen, an die gesellschaftliche Oberfläche treten.

Wie oft scheint es in unserem nördlichen Nachbarland davon besonders problematische Exemplare zu geben. Dort protestieren «besorgte Bürger» gegen Corona-Massnahmen – ohne Schutzmasken, dafür mit «Querdenker-Bommel» und manchmal auch mit Reichsflaggen oder Uniformen, die Erinnerungen an die Hitlerjugend wecken.

Und an sogenannten «Hygienedemos» in Berlin und anderswo wird wieder einmal unverblümt die jüdische Weltverschwörung hinter dem Coronavirus vermutet. Dabei versicherten mir entfernte Verwandte doch vor Kurzem glaubhaft, dass sie lediglich den Austausch der Menschen mit ausserirdischen Echsen vorantreiben wollen. Mit dem Coronavirus hätten sie hingegen wirklich nichts zu tun!

Hierzulande ist wie gewohnt alles eine Nummer kleiner. An wirren Manifestationen vor dem Bundeshaus oder auf dem Zürcher Sechseläutenplatz genügten Bill Gates, 5G oder die Impflobby als Corona-Drahtzieher.

Damit keine Missverstände auftreten: Rund um das Coronavirus und den Umgang damit gibt es einen Haufen drängender Fragen, die unbedingt diskutiert werden müssen. Gibt es in offiziellen Versionen Widersprüche, die ein kritisches Nachhaken bedürfen? Wie viel Öffnung ist vertretbar, wie viel Lockdown zumutbar? Darf der Besitzer eines geräumigen Einfamilienhauses in Maur dem Bewohner einer kleinen Dübendorfer Mietwohnung «bleib zu Hause!» zurufen? Wie weit dürfen Grundrechte eingeschränkt werden, um die Gesundheit zu schützen? Sind Tracking-Apps ein Einfallstor für den Überwachungsstaat?

Eine Gesellschaft, die derartige Fragen nicht kontrovers diskutiert, wäre gleichgeschaltet. Aber gerade jene, die Behörden und Medien zurecht kritisch auf die Finger schauen, sollten aufpassen, dass sie nicht plötzlich mit dubiosen Heimatschützern und Verschwörungstheoretikern im selben Boot rudern.

Die Meinungsfreiheit gilt auch für Wirrköpfe. Und es spricht grundsätzlich nichts gegen den Versuch, auch schrille Schreihälse von der Kraft des besseren Argumentes zu überzeugen. Nur ist für viele von ihnen auch der stichhaltigste Gegenbeweis bloss ein weiterer Beleg für ihre krude Theorie .

Im Umgang mit solchen Leuten ist Social Distancing deshalb nicht der verkehrteste Ansatz. Und auch den jetzt schon epochenprägenden Aufruf dieser Tage darf man durchaus an sie adressieren: «Bleibt zu Hause!»


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