nach oben

Anzeige

Mieses Essen verfolgt mich

Veröffentlicht am: 26.05.2019 – 08.43 Uhr

Es ist leider so: Viele Menschen können nicht kochen. Und tun es trotzdem. Jeder kennt das, man ist froh, dass es überhaupt etwas zu essen gibt, also würgt man es runter, murmelt etwas, das wie Zustimmung klingen könnte, aber eigentlich nur der Kampf gegen Brechreiz ist. Und hält ansonsten den Mund. Denn, wie erwähnt: Hauptsache es gibt was. Und man möchte ja auch nicht unhöflich sein.

Leider führt dieses Verhalten bei den Koch-Analphabeten fälschlicherweise zur Annahme, ihr schändliches Tun werde allgemein geschätzt. Wahrscheinlich gibt es in jedem Bekanntenkreis einen Onkel Clemens, der so wahnsinnig stolz ist auf seine Salatsauce, an der er jeweils stundenlang rumtüftelt, bis sie so schmeckt wie die Billig-Tunke aus dem Supermarkt. Und an der Familienfeier sagen alle: Hmmm, Onkel Clemens, deine Salatsauce mal wieder...

Nussstängeli-Alarm!

Oder die Kollegin, die zum Besuch jeweils ihre Haselnussstängeli mitbringt. Der Hund freut sich immer wahnsinnig, denn er weiss: Wenn die Frau wieder weg ist, gibt es Happa-Happa. Hunde knacken Knochen und kommen deshalb sehr gut mit harten Backwaren zurecht. Und sie essen auch gerne Pferdescheisse, wenn sie welche finden, sind also wenig anspruchsvoll, was den Geschmack anbelangt. Blöd nur, dass die Kollegin nicht nur meint, ihre Haselnussstängeli seien eine Gaumenfreude, sondern auch, dass der Hund sie mag.

Auch ausserhalb des Bekanntenkreises ist es so eine Sache mit dem Essen. Mit meiner Band trat ich über viele Jahre in besetzten Häusern und staatlich subventionierten autonomen Kulturzentren auf. Klar, da isst man vegetarisch bis vegan. Das kann man eine zeitlang überleben. Aber angebrannt ist angebrannt, egal ob Tofu oder totes Tier. Und ab einem Salzgehalt von 20 Prozent ist auch beim gesündesten Kichererbsenauflauf der Spass vorbei. Dass einen von jeder Wand der olle Lenin beim Essen beobachtet, macht die Sache auch nicht besser.

Manchmal wurde es sogar richtig gefährlich. Etwa bei einem extrem al dentenen Risotto. Man stelle sich das vor: Da kommt man von der Tour aus dem tiefbraunen Osten Deutschlands nach Hause, die Kollegen sehen die Zahnlücke und sagen, oha, habt ihr euch mit Neonazis geprügelt?, und man muss sagen, nö, das war ein Reisgericht, notabene von den eigenen Leuten serviert

Geiss bleibt Geiss

So ist das halt mit fremden Kulturen. Ich kann mich zum Beispiel noch gut an einen Benefizanlass eines ostafrikanischen Vereins erinnern, über den ich als freier Journalist berichtete. Da gabs ein Eintopfgericht mit einem seltsamen Namen – und dazu die Erkenntnis: alte, vergammelte Ziege bleibt alte, vergammelte Ziege, auch wenn sie zwei Tage mit vielen exotischen Gewürzen gekocht wird.

Da lob ich mir die Russen. Es war auch ein Benefizanlass, wobei ich nicht richtig verstand, worum es überhaupt ging. Irgendwann kam eine Halbnackte vorbei und servierte so kleine Omelettli mit massig Kaviar drauf. Schmeckte scheusslich. Aber nach jedem Häppchen wurde einem ein dickwandiges Trinkglas mit Wodka gereicht. Und siehe da, nach dem dritten Glas waren die Fischeier gar nicht mal mehr so schlecht. Nach dem fünften Glas liebte ich Fischeier.

Und auf einmal verstand ich: Es liegt weder an meinem anspruchsvollen Gaumen noch an meiner Einstellung fremdartigen Speisen gegenüber, es fehlte einfach stets die richtige Dosis Alkohol. Erwartet mich heute ein Essen von möglicherweise zweifelhafter Qualität, lasse ich mir deshalb beim Apéro vorsichtshalber ein paarmal das Weinglas vollmachen. Und stecke mir dann noch eine Handvoll Nüssli in den Hosensack. Für alle Fälle.

Thomas Bacher ist überzeugt davon, dass die Welt um ihn herum immer verrückter wird. Seinen Psychiater möchte er damit nicht belästigen, viel lieber schreibt er darüber.


Dieser Artikel wurde automatisch aus unseren alten Redaktionssystemen auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: servicedesk@zol.ch

Kommentar schreiben

Bitte geben Sie ein Kommentar ein.

Wir veröffentlichen Ihren Kommentar mit Ihrem Vor- und Nachnamen.
* Pflichtfeld

Anzeige

Anzeige