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Manche Angehörige sehen nach Suizidfällen in der Familie keine Perspektive mehr. (Bild: Peter Franz/Pixelio), Carla Soldato und Wolfgang Weigand, die beiden Initianden und Gastgeber des Café Goodbye. (Bild: zvg)

Ein emotionales Wechselbad für Angehörige

Suizid und Trauerbewältigung sind am Sonntag Thema im Bistro Dimensione. Wolfgang Weigand, Theologe und Bestatter aus Winterthur, hat den Anlass mitorganisiert. Im Gespräch mit Hinterbliebenen erlebt er nicht selten ein ganzes Wechselbad an Gefühlen.

Manche Angehörige sehen nach Suizidfällen in der Familie keine Perspektive mehr. (Bild: Peter Franz/Pixelio), Carla Soldato und Wolfgang Weigand, die beiden Initianden und Gastgeber des Café Goodbye. (Bild: zvg)

Veröffentlicht am: 06.09.2017 – 16.03 Uhr

Begeht ein Familienmitglied Suizid, stellen sich Angehörige viele Fragen über den Beweggrund dieser Tat. Was hat ihn oder sie dazu bewegt? Hätte der Suizid verhindert werden können?

Wolfgang Weigand führt Bestattungszeremonien durch und bietet Hinterbliebenen Coachings und Seminare zum Thema Tod und Trauer an. Laut dem Theologen und Erwachsenenbildner aus Winterthur, werden Angehörige bei der Trauerbewältigung oft mit einer ganzen Palette an Emotionen überhäuft.

Zum Welt-Suizid-Präventionstag der WHO (Weltgesundheitsorganisation) am Sonntag, 10. September, organisiert Wolfgang Weigand gemeinsam mit Carla Soldato das Café Goodbye im Bistro Dimensione. Suizid und Trauerbewältigung sind Themen der Veranstaltung. Filmemacher und Medienschaffender Hannes Hug spricht ausserdem über den Selbstmord seiner Schwester.   

Wie oft haben Sie mit Suizidfällen bei Bestattungen in Winterthur zu tun?

Wolfgang Weigand: Von den 50 bis 60 Abschiedsfeiern, die ich jährlich durchführen darf, sind rund 10 bis 12 Suizide dabei. Diese 20 Prozent sind natürlich nicht repräsentativ. In der Schweiz entfallen auf etwa 70‘000 Todesfällen jährlich etwas mehr als 1000 Suizide, also «nur» 1 bis 2 Prozent. Vergessen dabei wird aber oft, dass auf einen «erfolgreichen» Suizid 15 bis 20 Suizidversuche fallen, also ca. 15‘000 bis 20‘000 jährlich. Das sind alles erschreckend hohe Zahlen.

Wer begeht am häufigsten Suizid?

Es sind vor allem Jugendliche und ältere Männer über 65 Jahren.

Haben Sie auch Beobachtungen bezüglich der kulturellen Unterschiede in Suizidfällen gemacht?

Natürlich spielt die konfessionell und kulturell bedingte Bewertung von Suizid eine grosse Rolle. Katholiken suizidieren sich noch immer deutlich seltener als reformierte oder konfessionslose Menschen. Noch bis 1983 galt Suizid im katholischen Katechismus als Todsünde. Es gibt auch grosse kantonale Unterschiede, zum Beispiel zwischen Appenzell und dem Tessin, wo die Suizidquoten deutlich niedriger sind.

Und was bringt diese Personen dazu, sich das Leben zu nehmen?

Das ist eine grosse, schwierige Frage. Sicherlich Verzweiflung und die Angst, den Halt im Leben oder die existenzielle Sicherheit zu verlieren. Natürlich gibt es die klassischen Auslöser wie akute Lebenskrisen im Umfeld von Trennung, Partnerschaftskonflikten oder Verlusterfahrung im Bereich der Gesundheit oder Arbeit, aber letztlich ist jede Verzweiflungstat völlig einzigartig.

Verzweifelt sind auch die Angehörigen, die einen Suizid in der Familie erlebt haben. Wie gehen sie mit einem solch tragischen Fall um?

Das ist sehr unterschiedlich. In der Regel verbinden sich Fassungslosigkeit mit tiefer, am Anfang bodenloser Trauer, aber auch mit Schuldgefühlen oder mit Wut. Es ist eine ganze ambivalente Palette von Emotionen, die sich immer wieder auch vermischen oder abwechseln können.

Wie zeigen sich diese Emotionen?

In wenigen Fällen gibt es eine starke Verleugnungstendenz. Was nicht sein soll, kann nicht sein. Der Suizid ist dann einfach ein tragischer Unfall. Natürlich gilt es, das zu respektieren. Da ist nur eine sehr behutsame Annäherung an die offensichtlichen Fakten möglich – und das ganz bestimmt nicht in einem öffentlichen Raum wie einer Abdankung. Und manchmal ist die Angst vor Stigmatisierung spürbar: Wie reagieren denn die Freunde, die Nachbarn, das ganze Umfeld?

Gibt es noch andere Gedanken, mit welchen sich die Hinterbliebenen beschäftigen?

Sie fragen sich: Warum hat unsere Liebe nicht gereicht? Warum kam er oder sie zu dieser furchtbaren Entscheidung? Hätten wir noch andere Möglichkeiten gehabt, ihn oder sie davon abzubringen, im Leben zu halten? Und bei Geschwistern stellt sich natürlich auch oft die Frage: warum er oder sie, und nicht ich?

Was raten Sie Familien, die mit der Trauerbewältigung nicht zurechtkommen?

Man spricht von «komplizierter Trauer», wenn die Trauer über den Verlust das Weiterleben über lange Zeit tiefgreifend beeinträchtigt und der Schmerz nicht nachlassen will. Die Abgrenzung von Trauer zur Depression ist bei einer solchen Intensität nicht einfach.

Manchmal ist dann eine Familie überfordert, damit alleine klar zu kommen. Es gibt gute professionelle Anlaufstellen, an die man sich mit einer solchen Trauer wenden kann. Wichtig ist, dass das ganze Familiensystem dabei berücksichtigt wird, und es zunächst mal viel Raum zum Reden gibt – ohne Tabus, ohne Bewertungen.

Wie unterscheiden sich die Bestattungszeremonien von anderen Trauerfeiern?

Eine entscheidende Frage ist immer, wie offen eine Trauerfamilie den Suizid nach aussen kommunizieren kann. Die Abschiedsfeier findet ja oft bereits wenige Tage nach dem Tod statt. Das ist manchmal viel zu früh.

Bei einem Suizid ist es meines Erachtens umso wichtiger, dass sich die Hinterbliebenen nochmals bewusst verabschieden. Im Sinne von: «Du hast es so gemacht, wie es dir möglich war. Ich möchte und darf es anders machen in meinem Leben». Und vielleicht könnte man dann noch hinzufügen zum Verstorbenen: «Und gib mir deinen Segen dafür». Aber das hängt natürlich von der spirituell-religiös-psychologischen Bezogenheit der Angehörigen im eigenen Leben und im Familienumfeld ab.


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