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Über diese 800 Grad heisse Glut liefen die Teilnehmer barfuss. (Bild: Christian Merz)

Barfüssiger Gang über 800 Grad heisse Glut

Barfuss über Glut laufen mit nichts als Überzeugungskraft und Konzentration? Redaktorin Annette Saloma hat das ausprobiert - an einem Seminar in Turbenthal.

Über diese 800 Grad heisse Glut liefen die Teilnehmer barfuss. (Bild: Christian Merz)

Veröffentlicht am: 18.12.2016 – 17.20 Uhr

Mit klopfendem Herzen fahre ich die steile Strasse von Wila Richtung Sitzberg hoch. Die Wegbeschreibung liegt auf dem Beifahrersitz, trotzdem halte ich an, als mir auf dem einsamen Weg durch den Wald ein Fussgänger entgegenkommt, und frage ihn nach dem Weg zum Freizeitzentrum Sitzberg. «Ah, das FKK-Zentrum! Einfach weiterfahren, es ist dann angeschrieben.» Wie bitte? Worauf habe ich mich da bloss eingelassen, schiesst es mir durch den Kopf. Ein Feuerlaufseminar. Mein Vater hatte entsetzt reagiert. Erst letzthin hatte er einen Bericht im Fernsehen gesehen. Leute hatten sich bei einem Massenfeuerlauf in den USA heftig verbrannt, 30 mussten ins Spital.

Banker statt Gurus

Die Leute, die ich kurz darauf antreffe, sind alle angezogen. Nackt ist man hier nur im Sommer, dann finden hier auch keine Feuerläufe statt. Ich werde von einem hageren, kahlköpfigen Mann mit runder Brille und Tätowierungen freundlich empfangen. Er stellt sich als Gérard Moccetti vor, einer der Kursleiter. Zusammen mit Otto Gerber aus Wädenswil bietet er seit 30 Jahren Feuerlaufseminare an. Kennengelernt haben sie sich vor 31 Jahren – an einem Feuerlaufseminar. Keine langhaarigen Gurus in wallenden Gewändern, sondern ein Banker und ein pensionierter Treuhänder.

Hier gehts zum Video des Feuerlaufs:

Ich ziehe die Schuhe aus, setze mich auf meine mitgebrachte Decke und schaue mich um. Im Kachelofen brennt ein Feuer, in der Mitte des Raums eine grosse weisse Kerze. 29 Leute sind an diesem Samstag in diese Abgeschiedenheit gekommen, mehr Frauen als Männer, fast die Hälfte ist aus Deutschland. Viele scheinen sich zu kennen. Als Moccetti zu Beginn des Seminars um 14 Uhr fragt, wer noch nie über Feuer gelaufen sei, strecke ich auf. Mit mir nur noch zwei andere.

Wie Weihnachten

Heidi Scheuring aus Hinwil ist heute zum 20. Mal hier. «Das ist für mich wie Weihnachten», sagt die 67-Jährige. «Ich kann dabei den Verstand abschalten.» Liz Saladin aus Aadorf tankt beim Feuerlauf Kraft und Energie. «Ich habe in diesen Seminaren meine Höhenangst überwunden», erzählt die 55-Jährige, die sich äusserlich von den anderen Teilnehmern abhebt. Sie hat lange blonde Haare, rot lackierte Fingernägel, ist sorgfältig geschminkt. «Früher konnte ich noch nicht mal auf eine Leiter steigen. Heute erklimme ich Viertausender.»

Man ist per Du. Otto, der Kursleiter, erzählt nun etwas über den Feuerlauf, von starken Verbrennungen, die es in der Anfangszeit gegeben habe. Davon will ich lieber nichts hören. «Feuerlauf ist nicht ungefährlich», sagt er. «Aber wenn man achtsam ist und sich an die Anweisungen hält, kann nichts passieren.» Na dann. Die folgenden Vorbereitungsübungen solle man deshalb nicht hinterfragen. «Sie dienen dazu, vom Denken weg zum Fühlen zu kommen, von der linken Hirnhälfte auf die rechte umzustellen», erklärt der 68-Jährige. «Wenn man zu rational an die Sache herangeht und denkt, das ist zu heiss und das geht nicht, dann geht es nicht.»

Hemmungen abbauen, wildfremde Menschen umarmen

In den nächsten Stunden umarme ich wildfremde Menschen, schaue ihnen minutenlang in die Augen, werde massiert. Eine Grenzerfahrung, die mir manchmal unangenehm ist und sich manchmal gut anfühlt. Ich bin nicht die Einzige, der es so geht. «Ich habe Mühe mit Körperlichkeit, es wird mir schnell zu nah», erzählt Susanne in einer Feedback-Runde, die es nach jeder Übung gibt. «Aber man verliert mit der Zeit die Hemmungen, und dann passt es.»

Die Meditation im Video:

Otto holt zwei Plastikzuber voller Glasscherben. Wir sollen drüberlaufen. «Es geht darum, ein Paradigma aufzulösen», erklärt er. «Als Kind lernt man, dass Scherben schneiden und Feuer verbrennt. Aber die Dinge sind nicht immer, wie sie scheinen.» Vorsichtig trete ich auf und bin überrascht. Laufen auf spitzen Kieselsteinen fühlt sich unangenehmer an. Kurz vor 17 Uhr essen wir schweigend unser mitgebrachtes Picknick. Danach gehen wir nach draussen.

Wortlos schichten wir das Holz auf, 1400 Kilogramm. Otto zündet es an. Hitze breitet sich aus, Flammen schlagen hoch, tanzen in den Nachthimmel. Im Kreis stehen wir ums Feuer, manche haben die Augen geschlossen, strecken die Arme nach den Flammen aus.
Ich frage Gérard, wie es möglich sei, unversehrt über heisse Glut zu laufen. «Zu 95 Prozent ist es wissenschaftlich erklärbar», sagt er. «Die Leitfähigkeit von Holz ist beispielsweise tiefer als von Metall, und es kommt auch auf die Kontaktzeit darauf an. Aber es bleibt ein Teil, der nicht zu erklären ist.»

Die Sinne täuschen

Ohne die Übungen sei es nicht möglich, unbeschadet über die Glut zu gehen, und die Gruppendynamik sei auch ein wichtiger Bestandteil des Ganzen. Manche holen sich trotzdem Blasen, manche schwarze Punkte. Otto verteilt ein Blatt Papier mit Fussreflexzonen. «Dort, wo es anzeigt, dort müsst ihr in eurem Leben genau hinschauen», sagt er. Während wir warten, bis das Feuer zu Glut wird, folgen weitere Übungen. Ich liege auf dem Rücken, die Augen geschlossen. 14 Hände heben mich zur Decke hoch, bewegen mich hin- und her. Als es zum Boden runtergeht, fühlt es sich an, als würde ich nach oben getragen. Die Sinne täuschen mich. «Eine Kraft- und Loslassübung», sagt Otto.

Kurz vor 20 Uhr gehen wir nach draussen. Mit einem Rechen wird die Glut verteilt. Am Himmel leuchten unzählige Sterne, der Ruf einer Eule ist zu hören. Es hat etwas Mystisches. Wir werfen Reis in das Feuer. Ein buddhistisches Ritual, erzählt Otto, um den Feuerdrachen zu zähmen. Dazu soll ein Bekenntnis ausgesprochen werden. «Ich sage meiner Familie, dass ich das Geschäft nicht übernehmen will», sagt eine Frau. «Ich werde meine Finanzen in den Griff kriegen», ein Mann.

Nicht nachdenken und los

Ich habe Angst. Die Glut scheint wie lebendig. Auch in drei Metern Entfernung ist die Hitze noch zu spüren. 800 Grad, schätzt Gérard. Mitmachen ist freiwillig. Doch ein Rückzieher ist nicht möglich. Nicht für mich. Ich ziehe die Schuhe aus, bekomme sofort klamme Füsse. Otto stimmt ein Lied an, alle singen mit, auch ich. «Damit man nicht nachdenkt», hatte er zuvor erklärt.

Zwei Frauen packen mich an den Händen. Wir gehen zu dritt über die Glut. Am rechten Fuss spüre ich nichts, links durchzuckt mich ein scharfer Schmerz. Eine Glut scheint an meiner Fusssohle zu haften. Sofort stehe ich ins kalte Wasser. Aua! Dreimal laufe ich über die Glut. Das Aha-Erlebnis bleibt aus. Ich bin etwas enttäuscht. War diese stundenlange Vorbereitung wirklich nötig, frage ich mich. Ich bezweifle es, beweisen kann ich es nicht. «Das kenne ich», sagt Ina. «Nach dem ersten Mal dachte ich auch, wars das jetzt? Was ist daran nun besonders?» Trotzdem ist sie wiedergekommen.

Taube Füsse

Danach sind meine Füsse wie taub. Ich bin froh, als ich die Schuhe wieder anziehen kann. Zum Abschluss werden wir aufgefordert, den Text «Ich laufe auf Feuer, somit kann ich mehr erreichen, als ich weiss» auf ein Kärtchen zu schreiben. Wir umarmen uns noch einmal, Otto dankt dem Universum in einer Art Gebet.

Während die anderen noch zusammen essen, fahre ich nach Hause. Erst da nehme ich meine Füsse genauer unter die Lupe. Sie sind schwarz, und auf dem linken Fussballen bildet sich eine winzige Blase. Ich wasche sie und gebe meinen Eltern Bescheid. Sie werden erleichtert sein.


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