nach oben

Anzeige

Die Dirigentin Graziella Contratto sprach am diesjährigen Ustertag. (Bild: Mirjam Müller)

Wo der Ustertag nach Beethoven klang

Die Musik und was man aus ihr heraushören kann, stand dieses Jahr im Zentrum der Ustertagfeier. Die ungewohnte Perspektive stiess bei den Gästen auf Anklang – genauso wie die Rednerin selbst.

Die Dirigentin Graziella Contratto sprach am diesjährigen Ustertag. (Bild: Mirjam Müller)

Veröffentlicht am: 19.11.2017 – 15.42 Uhr

Eine Dirigentin hielt dieses Jahr die Hauptrede am Ustertag und der Bruch mit der Tradition kam an. «Einmal etwas anders als ein älterer Mann, der über Sichherheitspolitik oder die Bedeutung des dualen Bildungssystems referiert», war ein oft gehörter Satz nach der Rede von Dirigentin Graziella Contratto.

Die Impressionen von dem Ustertag 2017

Die Sinfonie als Spiegel der Gesellschaft

Zum ersten Mal überhaupt hat das Ustertag-Komitee eine Person aus dem Bereich Kultur eingeladen, über die historischen Ereignisse von 1830 in Uster zu referieren. Damals forderten auf dem Zimiker Hügel in Uster über 10'000 Männer aus dem ganzen Kanton mehr Rechte für die Landschaft gegenüber der Stadt Zürich.

Dirigentin Graziella Contratto ging in ihrer Rede der Frage nach, wie denn dieser Ustertag vor 187 Jahren geklungen haben könnte – und fand eine Antwort bei Ludwig van Beethoven. In seiner 6. Sinfonie, der «Pastoralen», entdeckte sie politische Aussagen, die auch auf Ereignisse am historischen Ustertag zutreffen. Sie leitete daraus aber auch Forderungen für die Gegenwart ab.

Wie die Videoumfrage zeigt, war das vermittelte Klangbild der Rednerin Contratto für die meisten erfrischend anders.
(Video: Simon Grässle)

Falsche Idylle

So atmet der erste Satz der Symphonie noch den Geist eines idealisierten Landlebens, von singenden Hirten in reiner Natur; glücklich und anspruchslos. Dabei war sich Beethoven durchaus bewusst, dass die Realität eine andere war. Wie die Dirigentin referierte, kannt der Komponist die  Schriften von Johann Heinrich Pestalozzi gut – jener Pestalozzi, dessen philosophische und pädagogische Ideen auch die Protagonisten am Ustertag 1830 inspirierte. Auch im frühindustrialisierten Oberland hatte der Alltag eben wenig mit den Schäferidyllen gemein, die in dieser Zeit die künstlerische Darstellung des Landlebens prägten.

Lüstlingen im Fagott

Im dritten Satz von Beethovens Symphonie verwandelt sich das idyllische Treiben denn auch in eine Karikatur davon. Das tönt bei Contratto dann so: «Das ehemals aristokratische Menuett wird als leere Spitzencorsage übergeworfen, viel zu schnell wird der Dreiviertel-Takt durchgepoltert, dazu mit Holzpantoffeln herumgestampft. Aber auch der Aufritt des so lieblichen Oboenmädels wird von ältern Lüstlingen im Fagott kommentiert.» Die Dirigentin und Musikdozentin hört hier Kritik an den politischen Zuständen jener Zeit heraus. «Das Beethovensche Menuett-Korsett entspricht staatsgeschichtlich der Restauration, einer Rückwärtsbewegung, die die revolutionären Werte von 1789 zu verdrängen sich anschickte und die offensichtlich auch dei Züricher Landschaft politisch aushungerte.»

Auch heute droht Verklärung 

Im Übergang vom dritten zum vierten Satz wird aus dem Tanz dann ein Sturm, ein Gewitter. Contratto zitiert dabei den Literaturwissenschaftler Peer von Matt: «Im Gewitter trifft die Geschwindigkeit und die unbändige Kraft des neuen Zeitalter auf das Tempo einer Zivilisation, die im wohlingen Stillstand ihrer eigenen Folklore verharrt.»

Der fünfte Satz schildert danach die «frohen und dankbaren Gefühle nach dem Sturm», so die Umschreibung Beethovens. Contratto sieht darin eine Läuterung der Gesellschaft. In Folge des Ustertags stellt diese sich hierzulande neu auf. «Die Liste der geforderten wirtschaftlichen Verbesserungen, die Wunsch nach Schulbildung zur Förderung von mündigen Menschen, nach Gerechtigkeit und einer demokratischen Transparenz beeindruckt uns noch heute.»

Habe den Mut, zu hören!

Sie habe den Klang des Ustertags in der politphilosophischen Interpretation von Musik gesucht, nicht wie er lautmalerisch hätte klingen können, sagte Contratto nach ihrer Rede. «Ich wollte die Musik finden, die eine ähnliche Aussage hat wie der Ustertag.»

Aus dieser Deutung von Beethovens Werk und seiner Verbindung zu den historischen Ereignissen von 1830 leitete sie in ihrer Rede auch Forderungen für die Gegenwart ab: Kunst und Kultur sowie die kritische Auseinandersetzung damit sei an der Schule zu fördern und müsse in den Medien ihren Platz haben. «Wenn wir nur noch auf die alten Schweizer-Unschulds-Chiffren setzen, dann klingt die Schweiz künftig nur noch schal, dümmlich, ohne Obertöne und Klangfarben, ein billiges Medley zwischen Stägeli uf, Stägeli ab juche und fake jodels aus Taiwan.» In Abwandlung des bekannten Zitats Immanuel Kants und in Anspielung auf den Klang des Ustertags in der Beethoven-Symphonie gab sie ihren Zuhörern deshalb mit: «Audire aude – habe den Mut, Dich Deines Zuhörens zu bedienen!»
 


Dieser Artikel wurde automatisch aus unseren alten Redaktionssystemen auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: servicedesk@zol.ch

Kommentar schreiben

Bitte geben Sie ein Kommentar ein.

Wir veröffentlichen Ihren Kommentar mit Ihrem Vor- und Nachnamen.
* Pflichtfeld

Anzeige

Anzeige