nach oben

Anzeige

Auf der Glatt führt die Natur Regie

Ein Tag auf der Glatt: Redaktor Laurin Eicher liess sich in einem Boot vom Greifensee nach Dübendorf treiben – obwohl es eigentlich verboten ist.

Veröffentlicht am: 22.10.2015 – 15.49 Uhr

Mit einem einfachen Boot sich vom Ursprung der Glatt hinab nach Dübendorf treiben lassen. Die Ufervegetation und Fauna gemächlich beobachten können. Ein kleines Abenteuer, ein Erlebnis mit meinem besten Freund. Diese Idee hege ich seit dem Sommer 2014. Letzten Sonntag war es dann endlich soweit. Davor waren allerdings einige Abklärungen nötig. Auf erste Anfragen im letzten Jahr erhielt ich von den kantonalen Behörden eine Abfuhr. In einer Email war eine Karte angehängt, auf welcher die Glatt zwischen dem Greifensee und Dübendorf mit drei fetten, roten Abschnitten markiert war. Im Wortlaut der Behörden hiess es unmissverständlich «nicht befahrbar». Ich war enttäuscht, denn es war für mich damals das unausweichliche Aus für das Projekt – es verschwand darauf in der Schublade. Bis sich dieses Jahr per Zufall ein Kontakt zum Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (Awel) ergab, welches das Befahren ausserhalb der Naturschutzzonen erlaubte. Zudem habe ich bei weiteren Recherchen in Erfahrung gebracht, dass in den letzten Jahren immer wieder Leute mit Gummibooten oder Kanus die Glatt ab der Naturschutzzone befahren haben.

Das Wetter war am Tag meines Versuchs denkbar schlecht: Heftiger Regen und eher kalte sechs Grad Lufttemperatur. Doch dies konnte mich und meinen Freund Roger Bolliger nicht von unserem Bootstrip abhalten. Bei der Brücke bei der Fällanderstrasse laden wir das über 50 Kilogramm schwere Boot ab. Auch wenn die Glatt nicht gerade als Wildwasserfluss eingestuft wird und wir unser Vorhaben als nicht allzu kühn erachten, schnallen wir uns gewissenhaft Schwimmwesten um. Auch eine «Actioncam» darf da nicht fehlen.

Während heutzutage jeder Sporttreibende, der etwas von sich hält, eine Kamera trägt, kann ich wenigstens sagen, dass ich die Aufzeichnung nicht zum prahlen auf Youtube, sondern als audiovisuellen Ersatz für mein wichtiges Arbeitsinstrument, das Notizbuch, einsetze.

Wir sind bereit und wassern den rund fünf Meter langen Kanadier unter der schützenden Brücke. Ich nehme Platz und versuche zu spüren, wie stabil das Kanu im Wasser liegt. Ich stelle fest, dass das Boot mit seiner maximalen Breite von einem Meter ziemlich stabil ist. Eine zu starke seitliche Gewichtsverlagerung wäre dann aber doch zu viel – wir würden kentern.

Der Tiefgang von lediglich rund 10 Zentimeter ist ein Vorteil, denn die Glatt weist aufgrund des tiefen Wasserstandes einige sehr seichte Bereiche auf. Bereits nach wenigen Metern laufen wir dennoch auf eine kleine Steinformation, die bis knapp unter die Wasseroberfläche ragt – für das robuste Kunststoffboot kein Problem.

Schon nach einigen Ruderschlägen lassen wir die Geräuschkulisse des Autoverkehrs hinter uns. Jetzt ist es ruhig, bis auf die grossen Regentropfen, die aufs Wasser aufschlagen und kleine Blasen bilden. Bald wird mir klar, dass es eine kluge Entscheidung war, eine Kamera um die Brust zu schnallen. Beim Versuch, bei diesem Niederschlag Notizen auf Papier zu machen, kann man nur kläglich scheitern. Ich stecke also mein kleines Büchlein, dessen meiste Seiten bereits zusammengeklebt sind, weg.

Schon bald vernehmen wir ein leises Plätschern. Als wir näher kommen, erkennen wir ein Betonrohr mit einem kleinen Rinnsal, welches in die Glatt mündet. Es sollten noch etliche solcher kleinen Seitenbäche werden, die den Fluss speisen. Immer wieder ragen Büsche oder Bäume bis weit aufs Wasser hinaus, sodass wir uns ducken oder mit dem Oberkörper die Äste verdrängen müssen. Viele sind bereits in schönen Herbsttönen von gelb über orange bis tiefrot. Vereinzelt sehen wir kleine Fische, die, aufgescheucht von unserem Boot fliehen.

Als wir uns der ersten Brücke nähern, die wir passieren müssen, sehen wir darauf Spaziergänger, die uns etwas erstaunt beobachten. Boote sind auf der Glatt doch eher die Ausnahme.

Wir paddeln meist nicht viel. Mit einer natürlichen Fliessgeschwindigkeit von ein bis zwei Kilometern pro Stunde treiben wir simultan mit vereinzelt schwimmendem Blattwerk Richtung Dübendorf. Mein Freund und ad-hoc-Kapitän des Schiffs, der sitzt gelassen vorne am Bug und korrigiert den Kurs mit kleinen Ruderschlägen.

Roger ist der ideale Begleiter für einen solchen Versuch. Er ist bootserfahren und strahlt eine Ruhe aus, die ansteckend ist. Ich weiss: wenn etwas passieren sollte – was ich nicht erwarte – ist er physisch und mental stark genug, um uns aus einer Havarie zu führen. Plötzlich macht er mich auf etwas im Wasser aufmerksam, doch bevor ich überhaupt schauen kann, laufen wir auf. Es entpuppt sich als eine grosse Kiste aus Metall, die einst versenkt, also vermutlich illegal entsorgt wurde.

Bald darauf rennen Jogger an uns vorbei, die ebenfalls dem Regen trotzen und uns verdutzt beobachten. Auf halber Strecke bis zur Sportanlage Chreis intensiviert sich der Niederschlag. Dafür entschädigt uns immer wieder Bodennebel, der tief über dem Wasser liegt und eine mystische Stimmung schafft. Ich versuche jetzt, auf meiner Karte zu bestimmen, wo wir uns befinden, denn bei der Eisbahn wartet der Fotograf, der unsere Bootsfahrt festhalten soll. Ich will möglichst pünktlich sein.

Aus der Uhrzeit und der abgeschätzten vor uns liegenden Strecke errechne ich, dass wir etwas schneller paddeln müssen. In der Ferne sind erste Häuser erkennbar. Die Sportanlage Chreis kann folglich nicht weit sein. Und dann sehe ich in der Ferne den Fotografen, der womöglich bereits Bilder mit einem Teleobjektiv macht. Das Rendezvous ist fast auf die vereinbarte Minute genau geglückt.

Dann, nach der Sportanlage, liegt eine unpassierbare Stufe vor uns. Wir wassern aus und steigen wenige Schritte später wieder ein. Wieder im Boot sitzend merke ich, dass etwas von dem 13 Grad kalten Wasser in meine Schuhe gedrungen ist. Dank der gut isolierenden Schuhe wird mein Fuss aber nur leicht abkühlen.

Weiter gehts auf dem Flusslauf durch Dübendorf. Auf der rechten Seite sind viele Einfamilienhäuser zu sehen. Bei der Gabelung vor der Oberen Mühle geht es rechts. Dann stehen zwei Wasserstufen hintereinander an, die wir aber ohne Probleme passieren. Unter der Brücke bei der Usterstrasse hindurch, gelangen wir zur nächsten Stufe. Wir stoppen das Boot kurz vor der Schwelle mit unseren Paddeln. Der Niveauunterschied scheint mindestens einen halben Meter auszumachen.

Nach ein paar Minuten Beraten entscheiden wir uns, die Stufe zu befahren. Schnell noch die Natels in den wasserfesten Sack gepackt, paddeln wir wieder ein Stück flussaufwärts, um bei der Kante genügend Geschwindigkeit erreichen zu können. Wir paddeln, was unsere Arme hergeben hin zur Stufe. Jetzt gibt es kein zurück mehr. Wir gleiten über die Kante, worauf der Bug kurz ins Wasser eintaucht – doch wir haben es ohne zu kentern geschafft. Wir jubeln lauthals.

Mit ein paar Liter Wasser mehr im Boot gelangen wir auf den letzten Abschnitt. Unser Boot verkeilt sich einmal mehr über einem Steinhaufen. Doch mit beiden Rudern können wir uns losstossen. Kurz vor unserem Ziel, beobachten uns von der Memphis-Brücke erneut zwei Passanten. «Macht das Spass?», tönt es von oben herab skeptisch. Wir schauen uns an, lachen und rufen: «Ja!»


Dieser Artikel wurde automatisch aus unseren alten Redaktionssystemen auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: servicedesk@zol.ch

Kommentar schreiben

Bitte geben Sie ein Kommentar ein.

Wir veröffentlichen Ihren Kommentar mit Ihrem Vor- und Nachnamen.
* Pflichtfeld

Anzeige

Anzeige