Als Napoleons Boot plötzlich kenterte
Gerade mal zwei Jahre jung war die Schifffahrt auf dem Greifensee, als im Jahr 1892 das Dampfboot «Delphin» kenterte. Die Katastrophe kostete vier Menschen das Leben.
Es war ein herrlicher Frühlingssonntag, der erste warme Tag des Jahres 1892. Am Schiffsteg von Niederuster herrschte Hochbetrieb rund um das kleine Dampfbötchen, das seit genau zwei Jahren zwischen Maur, Uster und Greifensee seinen Dienst versah. Nicht nur die Aktionäre der Dampfschiffgesellschaft drängten auf die «Delphin», um zu ihrer Aktionärsversammlung nach Maur übersetzen zu können, auch die Schützen zog es ans gegenüberliegende Ufer. Dort war eine Schiessübung geplant. Ursprünglich hatten die Niederustermer Schützen das Schiff als Extrafahrt gebucht, doch man nahm auch zusätzliche Ausflügler an Bord. Zu den Aktionären und den Schützen gesellten sich Frauen und Kinder, die Schiessscheiben wurden wegen Platzmangels kurzerhand auf dem Dach verstaut.
Ausflugsboot für die Familie
Noch vor gut zwei Jahren wären die Schützen gezwungen gewesen, in Niederuster in der Wirtschaft Kreis zu warten, bis es dem Wirt gepasst hätte, die Kunden im Ruderboot über den See zu fahren. Dann endlich war es dem Gemeindeverein Maur gelungen, die fällige ständige Schiffsverbindung mit den anderen Gemeinden zu initiieren und so zumindest teilweise in den Genuss der Industrialisierung und der Anbindung an die Eisenbahn zu kommen, die an der Gemeinde Maur so schmählich vorübergegangen war.
Das Schiffchen «Delphin», das zuvor 24 Jahre lang Kaiserin Eugénie, der Witwe Napoleons III., und ihrer Familie während ihrer Sommeraufenthalte in Arenenberg auf dem Untersee als leichtes Ausflugsbot gedient hatte, war für 25 Passagiere konzipiert. An diesem 3. April 1892 standen mindestens 35 Fahrgäste auf dem Greifensee dicht an dicht auf Deck und in der Kabine, die «Delphin» war hoffnungslos überladen. Ersatzheizer Hotz war für diesen Tag kurzerhand zum Kapitän befördert worden, als Heizer war ein Arbeiter der Maschinenfabrik Weber & Cie. namens Wetzel im Einsatz.
Am Ufer fehlten Rettungsgeräte
Als Hotz das Zeichen zur Abfahrt gab und sich die «Delphin» trotz Volldampf nicht vom Fleck rührte, nahm das Verhängnis seinen Lauf: Mannschaft und Passagiere stiessen das Schiff vom Steg weg, im Glauben, es liege am Landungssteg auf. Doch das kleine Dampfboot, ohnehin eine Konstruktion mit wenig Tiefgang, bekam Schlagseite und geriet durch die nachrutschenden Passagiere ins Kentern. Wasser drang durch die offenen Luken, die «Delphin» sank innert Minuten auf den Grund.
Da sich gemäss Berichten die meisten Passagiere unter Deck befunden hatten, begann für viele ein Kampf auf Leben und Tod. «Es waren ernste, furchtbare Minuten für die unverhofft dem heimtückischen Elemente überlieferten Passagiere», schrieb der «Anzeiger von Uster» in seiner Ausgabe vom 6. April 1892 und drückte es in der Folge noch blumiger aus: «... ein verzweifeltes Ringen des Lebens mit dem Tod, der grinsend seine Opfer zu umschliessen drohte.»
Wie ein Lauffeuer hatte sich die Kunde vom gesunkenen Dampfboot in Uster verbreitet und die Schaulustigen in Scharen zum Schiffsteg gezogen. Die meisten Passagiere konnten sich selbst retten oder von Rettern aus dem Wasser gezogen werden. Drei Mitglieder des Schiessvereins aber fanden den Tod. Neben dem 32-jährigen Landwirt Landolt aus Niederuster und dem 27-jährigen Fabrikarbeiter Landolt aus Uster war der Tod des 41-jährigen Fabrikarbeiters Sommerhalder aus Niederuster besonders tragisch. Seine Beine hatten sich im Gewehrriemen verheddert, sodass er sich nicht aus eigener Kraft retten konnte. Landolt wiederum hatte man laut Augenzeugen lange im Wasser um sein Leben ringen sehen.
Zum Zeitpunkt des Unglücks waren alle Ruderboote fort, wohl wegen des schönen Wetters. Rettungsringe oder andere Geräte gab es damals noch nicht. Das vierte Opfer, ein Portier namens Reinhard Demuth, starb erst einige Tage später. Er hatte sich bei der Rettung zweier Kinder im kalten Wasser eine schwere Lungenentzündung zugezogen, die ihm das Leben kostete.
Kein Vertrauen mehr
Die «Delphin» indes wurde bereits am nächsten Tag von Arbeitern der Niederustermer Firma Lenzlinger gehoben. Die Kosten dafür beliefen sich gemäss den Einträgen in den Auftragsbüchern auf 70 Franken. Obwohl das Schiff wieder flottgemacht wurde und unter dem Namen «Möve» den See befuhr, war das ohnehin schon knappe Vertrauen der Bevölkerung in die Dampfschifffahrt gänzlich verspielt. 1892 sank die Passagierfrequenz von zuvor 26 000 auf gerade noch 5000 Personen. Man setzte lieber wieder auf das gute, alte Ruderboot. Und auch der «Bote von Uster» unkte: «Das wollen wir aber sagen, ohne irgend ein Jemandem der Dampfschifffahrtsgesellschaft nahe treten zu wollen: Das Schiff eignet sich nicht als öffentliches Transportmittel und schmerzlich ist es, das dies durch ein so schweres Unglück dokumentiert werden musste.»
Erst mit dem eigens für den Greifensee konstruierten Dampfschiff «Greif», das 1895 seine Jungfernfahrt antrat und 1920 auf Benzinbetrieb umfunktioniert wurde, kehrte das Vertrauen zurück.
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