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Tote Guppys, brünftige Koreaner, verkratzte Hippie-Busse

Veröffentlicht am: 06.09.2020 – 09.00 Uhr

Watson hat kürzlich berichtet, dass Journalisten nicht so gut verdienen. Es ist natürlich ein bisschen schäbig, wenn Journalisten jammern, sie hätten zu wenig Lohn (umgekehrt können alle anderen Berufsgattungen ausser vielleicht Banker mit solchem Gejammer jederzeit zu den Journis kommen und erhalten ihre Plattform).

Aber jemand anderes wird es wohl kaum tun. Maskengegner und dergleichen jammern höchstens, Journalisten hätten zu viel Lohn, man solle sie entlassen und stattdessen Maskengegner und dergleichen einstellen, die auf Facebook hochkarätige Schreiberzeugnisse vorzuweisen hätten, getragen von ihren ausgezeichneten Recherche-Fähigkeiten.

Aber es stimmt eben schon. Sie verdienen wirklich nicht wahnsinnig gut, die Journalisten. Das ist der Grund, weshalb ich seit vielen Jahren nebst meinem Hauptberuf immer noch ein paar Nebenjobs nachgehe. Nebenjobs empfand ich schon in meiner Gymnasialzeit als netten Weg, Einblick in andere Welten zu bekommen.

So war ich mit etwa 16 vorübergehend Aquariumchef eines Schulhauses. Ich musste Fische kaufen, Wasser wechseln, Pflanzen ersetzen, Scheiben putzen und so. Seither weiss ich, dass man Guppys und Kampffische nicht unbedingt gemeinsam halten sollte. Deshalb heissen sie vermutlich Kampffische. Leider wurde ich wegen zu vieler toter Viecher rausgeworfen.

Später ging ich im Herbst in der Fabrik in Hinwil sauerkrauten. Dort lernte ich, wie lange das Kraut lagert und wie es abgepackt wird. Ich begriff den Unterschied zwischen gekochtem und ungekochtem Sauerkraut – und weiss jetzt auch, wo die Vitamine herkommen. Aus dem Labor. Und die Blasen an den Händen kommen vom Herumstochern mit Mistgabeln in den zähen Krauthaufen, die aufs Fliessband der Verpackungsanlage mussten.

Wegen der Blasen zog es mich weiter in eine Motörchenfabrik, wo ich für Abschlussverschraubung und Verpackung am Fliessband zuständig war. Über die Motörchen weiss ich nicht mehr viel, dafür umso mehr über die Liebesabenteuer des Koreaners, der mit am Verpacken war und eine so hohe Stimme hatte, dass ich mir nicht sicher war, ob er überhaupt in der Lage gewesen wäre, all seine Legenden so erlebt zu haben, wie er sie schilderte. Später wurde ich in die Spedition befördert, wo man mich aber letztlich rauswarf, weil ich ein- bis fünfmal Sendungen für die USA nach China schickte und umgekehrt. Anfängerfehler.

Dann baute ich mir ein musikalisches Standbein auf. Das brauchte recht viel Zeit, bis es zu rentieren begann. Denn anfangs spielt man in Bands, die alle Gagen in die Bandkasse stecken, um neue Alben produzieren zu können – oder damit der Bandleader seine Rechnungen bezahlen kann. Und wenn man alleine auftreten will, muss man zumindest Gitarre spielen können, was es auch erst zu lernen gilt. Dann braucht man anständiges Equipment und schliesslich Engagements. Zunächst läuft das auf Hochzeitsmusik hinaus. Aber die sind stinklangweilig; man muss ständig «Ewigi Liebi» singen. Und «The Rose». Und sich dazu noch in steifen Anzügen in unklimatisierten Kirchen mittig im Sommer überheizen. Das hängt einem irgendwann mehr zum Hals raus als Aquariumsalgen, Sauerkraut oder koreanische Liebesprahlereien.

Also begann ich mit Strassenmusik. Da kann man spielen, was man will, was für die innere Balance schon mal viel besser ist als Hochzeitsmusik. Allerdings kann der Zuhörer auch bezahlen, was er will, was oftmals nicht der Haufen ist. Alte Schweizer Strassenmusikererkenntnis: Die häufigst gesehene Münzfarbe im Hut ist golden.

Parallel dazu habe ich deshalb begonnen, Pressetexte für Musikveranstalter zu schreiben. Wenn man schreiben kann – und das sollte man bei eingangs erwähntem Beruf – hat man einen recht anständigen Stundenansatz, ausser die Bandmanagements geben einem freie Hand, weil sie es nicht schaffen, einen englischen Vorlagentext abzuliefern. Die Gefahr ist dann, dass sie bei der Gegenlese trotzdem ungehalten sind und einen die ganze Schose dreimal neu verfassen lassen. «Ich weiss», sagt die Auftragsgeberin vom Veranstalter dann jeweils mit einem verächtlichen Schnauben. «Von Queen könnte man schon ein bisschen mehr Professionalität erwarten.»

Da nun sowohl Musikmachen als auch über Veranstaltungen schreiben als Berufsmodelle in Corona-Zeiten klassische Rohrkrepierer sind, habe ich wieder etwas Neues gestartet. Ich fahre jetzt Oldtimer-Photobusse und -boxen zu Veranstaltungen. Das könnte recht lustig sein, wenn ich nicht so ungeschickt wäre.

Die erste Busfahrt begann mit einer Schramme – ich kratzte mit meinem Oldtimer an einem nebenangeparkten Oldtimer vorbei und beschädigte innert meiner ersten Fahrminute gleich zwei Autos meines Auftraggebers. Mit den Boxen liefs auch nicht viel besser; beim ersten Mal Rausschleppen fiel mir der Blitz runter. Als ich schuldbewusst den Schaden zeigte, sagte der Auftraggeber, das sei er ständig am Leimen. Erleichtert nahm ich die Tasche mit dem Gestänge des dazugehörenden Dekovorhangs vom Boden auf, worauf mir alle drei Stangen aus der Tasche rutschten und mit einem Höllenkrach auf den Beton schepperten. Das verächtliche Schnauben des Auftragsgeber kam mir bekannt vor.

Nichts desto trotz liebe ich meine Nebenjobs. Sie zeigen mir, was ich alles nicht kann und weshalb der Journalistenlohn schon noch entscheidend ist.

David Kilchör bestreitet seinen Blog wie sein Leben: Ohne Plan, ohne Themenschwerpunkt. Dafür mit viel Vertrauen, dass es trotzdem gut kommt. Oder zumindest nicht im Desaster endet. Und w enn es doch im Desaster endet, macht er daraus seinen nächsten Blogeintrag.


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