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«Steh nicht rum! Kauf etwas!», fordert eine der Fantasiefiguren die Kinder beim Gamen auf. Foto: Unsplash

Wie Kinder in Spiele-Apps manipuliert werden

Nur noch wenige Sekunden, dann verfällt das Angebot für dieses Extra! Spiel weiter, oder ich bin sehr traurig! Vielen Eltern dürfte gar nicht klar sein, wie stark viele Spiele-Apps die jüngsten Nutzer und Nutzerinnen gezielt beeinflussen.

«Steh nicht rum! Kauf etwas!», fordert eine der Fantasiefiguren die Kinder beim Gamen auf. Foto: Unsplash

Veröffentlicht am: 20.09.2022 – 10.06 Uhr

Bunte Süssigkeiten sortieren, fremde Welten erkunden, Städte bauen oder Monster erledigen: Handyspiele zählen zu den beliebtesten Apps zum Herunterladen, da man ohne Aufwand jederzeit und überall zocken kann.

Das Angebot ist dementsprechend riesig. Und schon die Kleinsten sind vom Daddeln an Smartphone und Tablet kaum mehr wegzubekommen. «Dieses Verhalten wird von den Herstellern über ganz verschiedene psychologische Tricks gezielt gefördert», sagt die Schweizer Psychologin und Game-Forscherin Elisa Mekler von der IT-Universität Kopenhagen.

Vor allem die reizvollen Gratis-Apps seien oft eine Art «Trojanisches Pferd». Denn die Games seien leicht anzuspielen, würden mit der Zeit aber etwas kosten, um sich Vorteile beim Spiel zu verschaffen und sein Level zu verbessern. 

Wie eine wissenschaftliche Untersuchung kürzlich im Fachblatt « JAMA Network Open » zeigte, enthält die Mehrheit der Spiele-Apps, die von Kindern im Vorschulalter genutzt werden, jede Menge manipulative Elemente.

Für ihre Studie hatten die US-Wissenschaftlerinnen der Universität Michigan Apps analysiert, die von 160 US-Kindern im Alter zwischen drei und fünf Jahren genutzt werden. Dabei suchten die Expertinnen nach sogenannten Dark Patterns. «Diese ‹dunklen Muster› werden gezielt eingesetzt, um den Spielverlauf zu verlängern, sich Werbung anzusehen sowie Kaufdruck auszuüben», erklärt Mekler.  

Fiktive Charaktere schauen traurig

Unter den 133 untersuchten Apps fanden sich viele auch hierzulande beliebte kostenlose Free2play- oder Freemium-Titel wie «Subway Surf», «My Talking Tom» oder «Minecraft», die sich nicht nur speziell an Kinder richten, sowie Apps von Social-Media-Plattformen oder Streaming-Anbietern.

Tatsächlich beobachtete das Team in 80 Prozent der genutzten Apps Dark Patterns. Dazu gehörten auch Spielelemente, die einen parasozialen Beziehungsdruck aufbauten: Eine bei Kindern beliebte Fantasiefigur des Spiels sagte dann «Steh nicht nur rum! Kauf etwas!», um dadurch zu einem In-App-Kauf zu verleiten. Andere fiktive Charaktere schauten traurig, wenn nicht weitergespielt wurde.  

Weitere Elemente bauten Zeitdruck auf, indem etwa ein Countdown anzeigte, wie lange ein kostenpflichtiges Extra noch erhältlich war. Manipulativ wirken zudem Navigationsbeschränkungen, indem Elemente zum Verlassen eines Levels oder zum Wegklicken eines Werbe-Pop-ups unscheinbar gestaltet wurden.

«Kinder lieben ihre Lieblingscharaktere in den Medien und sind daher besonders anfällig für den Druck, der von ihnen ausgeht, oder für virtuelle Belohnungen, die jedes Mal auf dem Bildschirm aufblinken, wenn sie sich an einem Punkt befinden, an dem sie die App verlassen wollen», erklärte Hauptautorin und Kinderärztin Jenny Radesky. 

Kinder besonders anfällig für Nudging

Für Christian Montag von der Universität Ulm sind Kinder für solche manipulativen Elemente besonders empfänglich. «Wir wissen, dass der präfrontale Kortex, also der Bereich im Gehirn, der unter anderem für die Selbstregulation wichtig ist, erst im Alter von ungefähr 20 Jahren vollkommen ausgereift ist.» Auf diese Weise seien Jüngere vermutlich noch anfälliger für das verhaltensökonomische Konzept des sogenannten Nudging, so der Ulmer Psychologe.

Die in App-Games und sozialen Netzwerken kreierten Systeme seien darauf angelegt, ihren Nutzern und Nutzerinnen einen Schubs zu geben, damit sie Dinge täten, die sie vielleicht gar nicht wollten.

«Ein Konzept, das wir alle aus Supermärkten kennen: Diese sind so gestaltet, dass wir uns die Einkaufswägen besonders vollpacken bis hin zur «Quengelzone» an der Kasse, in der wir uns verleiten lassen, doch noch einen Schokoriegel einzupacken», fügt er hinzu. 

Gemäss der nun veröffentlichten Studie wurden in 33 Apps bestimmte Figuren gezielt eingesetzt, um eine soziale Beziehung zwischen der virtuellen und der realen Welt aufzubauen. «Sie machen Druck zum Weiterspielen oder bringen ihre Missbilligung zum Ausdruck, wenn jemand schon aufhören will», sagt Mekler.

Ein Beispiel dafür ist der als Comic-Figur mit grossen Augen dargestellte Kater in «My Talking Tom 2», um den man sich kümmert, indem man mit ihm spielt, für ihn Futter aus dem Kühlschrank holt oder das Licht ausmacht, wenn er schlafen will. 

Entscheiden sich die Spielenden, nicht zum nächsten Level weiterzugehen, fragt er direkt nach: «Willst du aufgeben?» Und wenn sie untätig waren, drückt er gleich seinen Unmut aus: «Du bringst mich dazu, schlafen zu gehen.»

Im Simulationsspiel Blockdraft 3D, in dem Städte gebaut werden, wird der Gamer dagegen benachrichtigt, dass die Leute gegen seine Abwesenheit bereits protestieren.

Bei dem Drachen-Game «Dragon Mania Legends» sagt indes eine der Figuren: «Komm morgen wieder, um diesen Drachen zu holen! Besuch dann jeden Tag Dragalandia, um weitere wertvolle Belohnungen zu erhalten!»

Bei dem beliebten Strategie-Game «Clash of Clans», bei dem man sich und seine Gruppe verteidigen muss, sind sehr viele Dark Patterns gleichzeitig untergebracht. Um effizient voranzukommen, wird man beispielsweise gezwungen, regelmässig weiterzuspielen. «Zudem kann man echtes Geld ausgeben, um sich Vorteile im Spiel zu erkaufen», sagt Mekler.

Je länger man dieses Spiel, bei dem es keinen finalen Sieger gebe, mache und quasi in dieser Endlosschlaufe stecken bleibe, umso schwieriger werde es, plötzlich aufzuhören, da man unter anderem auch Angst habe, dadurch das bisher Erreichte wieder zu verlieren.  

Fortschritt wird vorgegaukelt

Dennoch will die ursprünglich aus Basel stammende Game-Professorin diese Spiele nicht verteufeln. «Ich habe selbst oft auf dem Weg zur Aalto-Universität in Helsinki, wo ich bis vor kurzem noch gearbeitet habe, in der U-Bahn «Cookie Clicker Collector» gespielt, bei dem man auf verschiedene Arten Kekse verdienen kann und dadurch wiederum diverse Keksfabriken erwerben, um immer mehr Kekse zu produzieren». Es sei eine angenehme und geradezu erholsame Art von Zeitvertreib, auch wenn dies jetzt vielleicht etwas komisch klingen würde.

Allerdings fühle sich das Spielen oft auch eher stumpfsinnig an, da es ebenfalls Dark Patterns habe, die einem eine Illusion von Fortschritt vorgaukelten. Mekler hat seither die App von ihrem Handy gelöscht und spielt stattdessen «Slay the Spire», ein virtuelles Kartenspiel. 

Um sich als User einen Überblick zu verschaffen, mit welchen Methoden die Game-Industrie heutzutage arbeitet, empfiehlt Mekler die sehr übersichtliche, auf Englisch gestaltete  Dark-Pattern-Games-Website .

«Die gleichen Design-Entscheidungen, die jetzt für ungesundes Engagement optimiert werden, um die Werbeeinnahmen zu steigern, könnten ebenso gut dazu anregen, gesunde Pausen einzulegen und das Wohlbefinden der Nutzer und Nutzerinnen zu fördern», schrieb Christian Montag mit Kollegen im Fachblatt «Addiction». 

Ein Blick auf In-App-Käufe kann Eltern von kleineren Kindern helfen, diese über die Geräteeinstellungen einzuschränken oder die App im Offline-Modus zu nutzen. Bei Free2Play-Apps gehörten In-App-Käufe jedoch zum Monetarisierungskonzept der Anbieter. «Werden diese unterbunden, kann das zu vermindertem Spielerlebnis und in Folge dessen zu Frustration und fehlendem Spielspass führen, weil beispielsweise Boni verfallen oder andere Spieler einen schnell überholen», erklärt Mekler.

Erziehungsberechtigten rät sie, entweder das Game vorher selbst auszuprobieren oder nur Apps auszusuchen, die erst gar keine In-App-Käufe enthalten oder bei denen etwa durch einen Einmalkauf eine In-App- und werbefreie Version erworben werden kann.

(Barbara Reye, Alice Lanzke)


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