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Das betroffene Gebiet wurde schnell grossräumig abgeriegelt. Foto: PD

Entführer war Schiessfan und Waffensammler

Am Mittwochabend stirbt ein 38-jähriger Deutscher nach einem Schusswechsel mit der Polizei. Bei einer Hausdurchsuchung findet sie diverse Waffen und Munition.

Das betroffene Gebiet wurde schnell grossräumig abgeriegelt. Foto: PD

Veröffentlicht am: 07.04.2022 – 06.56 Uhr

Es müssen filmreife Szenen gewesen sein: Am Mittwochabend, um etwa 19.30 Uhr, zückt ein 38-jähriger Deutscher auf dem Zwicky-Areal in Wallisellen eine Schusswaffe.

Er ist in Begleitung einer Frau unterwegs. Sein Auto – ein dunkler BMW 7er-Limousine – steht vor der Tiefgarage der Überbauung Waldhaus Neuguet.

Die Polizei sucht ihn, weil sie ihn verdächtigt, am 31. März einen Mann mit einer Waffe bedroht und entführt zu haben. Zivile Beamte und die schwer bewaffnete Spezialeinheit Diamant der Kantonspolizei Zürich sind ausgerückt.

Als sie den Mann verhaften wollen, zieht er «unvermittelt» eine Schusswaffe. Es kommt zu einem Schusswechsel. Die Polizei schreibt, dass «die Kugel aus der Waffe mindestens eines Mitglieds der Interventionseinheit» den Mann getroffen habe.

Der Deutsche und seine Begleiterin sterben. Die Polizei geht davon aus, dass der Entführer seine Begleiterin mit der Waffe getroffen hat. Ob auch Polizisten beim Einsatz verletzt wurden, ist unklar.

Ein Anwohner, der kurz vor acht von einem Spaziergang im Wäldchen nebenan zurückgekommen ist, erinnert sich: «Vor der Garageneinfahrt stand ein dunkles Auto mit geöffneter Tür. Davor lag eine Person am Boden. Bewusstlos oder tot.

Ein Polizist war direkt bei ihm. Es kamen in den nächsten Minuten immer mehr Einsatzkräfte, insgesamt etwa 50 Männer. Und auch eine mobile Einsatzzentrale wurde aufgebaut.»

Er sei angewiesen worden, sich auf direktem Weg in seine Wohnung zu begeben – und dortzubleiben, erzählt der Nachbar. Aus dem Fenster seiner Wohnung sieht er, dass auch Notarzt- und Krankenwagen vor Ort sind. Kurz vor 21 Uhr lädt ein Mitarbeiter eine Krankentrage in den Krankenwagen – sie ist leer.

Der Einsatz dauert bis tief in die Nacht.

Glassplitter vor der Garageneinfahrt

Am Tag danach weisen nur noch Spuren von verstreutem Granulat und Glassplitter auf die Szene vom Abend hin. Kurz vor 10 Uhr steigen zwei Forensiker aus einem weissen Auto, um die restlichen Spuren zu untersuchen.

Das Zwicky-Areal ist eine anonyme Grossüberbauung, wie man sie in der Agglomeration immer häufiger antrifft. Zwischen 2007 und 2019 auf der ehemaligen Industriebrache der Seidenzwirnerei Zwicky erbaut, leben hier fast 3000 Menschen.

Es ist eine in sich geschlossene Siedlung, abgetrennt von Wallisellen durch die A1 und von Dübendorf durch die Glatt. Es gibt hier eine bekannte internationale Schule, ein paar sporadisch besuchte Cafés und ein Hotel.

Glanzstück der Siedlung ist das 50 Meter hohe Waldhaus Neuguet. Hier sind grosszügige und hochwertige Wohnungen entstanden. In den oberen Etagen sieht man auch an wolkigen Tagen bis zu den Alpen. Wohnungen in den oberen Etagen kosten mehr als 3000 Franken im Monat. Unter den Eigentümern kennt man sich, unter den Mietern weniger.

Zuerst ging man davon aus, dass die Tat keinen Bezug zu Wallisellen hat, die Kommunalpolizei war nicht in den Einsatz involviert. Wie Recherchen dieser Zeitung aber ergeben, handelt es sich beim mutmasslichen Entführer um den 38-jährigen B.V. Zusammen mit einer 28-jährigen Frau lebt er seit rund zwei Jahren im Waldhaus Neuguet in einer Mietwohnung im 14. Stock. Vermutlich war er auf dem Nachhauseweg, als er auf die Polizei traf.

Nachbarin erkennt seinen BMW

Vor Ort ist das Briefkastenschild eingedrückt, der Briefkasten selbst überquillt mit Zeitungen und Werbeanzeigen. Gestern Abend waren laut einer direkten Nachbarin vier Polizisten im Hausgang vor der Wohnung.

Eine weitere Nachbarin wohnte im selben Turm wie der Deutsche. Auf den Fotos in den Medien hat sie seinen 7er-BMW wiedererkannt – er sei ihr Parkplatznachbar gewesen und habe mit seinem Auto immer viel Platz gebraucht. Ansonsten sei sie mit ihm wegen Lärmbelästigungen im Streit gewesen.

Ob die Mitbewohnerin von B.V. auch die verstorbene Begleiterin ist, ist nicht bekannt. Bei der Mitbewohnerin dürfte es sich um seine Freundin handeln. Sie zeigt sich auf Instagram gern auf Reisen, vor teuren Autos oder in Begleitung ihrer Chihuahuas. In mehreren ihrer Storys ist sie zudem auf Schiessanlagen zu sehen, sie posiert mit Sturmgewehr und Schrotflinte.

Der Entführer und die Waffen

Auch B.V. hat anscheinend eine enge Beziehung zu Waffen. Die Polizei findet bei der Durchsuchung seiner Wohnung diverse Waffen und Munition. Er ist ausserdem bei der Sportschützengruppierung Civilian Training Unit (CTU) in Volketswil bekannt, wie ein Mitglied der Gruppe auf Anfrage bestätigt. Die Facebook-Videos der Gruppe zeigen militärisch ausgerüstete Männer beim taktischen Schiessen.

Die Polizei ging bereits bei der Verhaftung davon aus, dass der Deutsche über mehrere Schusswaffen verfügen könnte. Darum hat sie auch Spezialisten der Interventionseinheit beigezogen. Er war zuvor im Kanton Zürich kriminalpolizeilich nicht bekannt.

Der 38-Jährige arbeitete früher als Sales Manager bei einer Werbefirma, wie seine ehemalige Chefin bestätigt. Man habe sich vor einigen Jahren schon getrennt.

Später gründete er zusammen mit der 28-jährigen Mitbewohnerin eine Firma, die unter anderem Entertainmentfilme anbietet. Mit einem Geschäftspartner hat er zudem eine App für Nachbarschaftshilfe entwickelt. Der Geschäftspartner ist bekannt als Flat Earther und verbreitet auf seiner Facebook-Seite Verschwörungstheorien rund um das Coronavirus.

Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen Polizisten

Wie es zur Entführung am 31. März kam und wer entführt worden war, ist derzeit noch unklar. Die Entführung soll einige Stunden gedauert haben. Laut Mitteilung der Polizei hat der mutmassliche Entführer das Opfer dabei mit einer Schusswaffe bedroht, es aber noch in derselben Nacht wieder gehen lassen.

Die weiteren Ermittlungen werden unter der Leitung der Staatsanwaltschaft I für schwere Gewaltkriminalität und durch die Kriminalpolizei sowie die Spezialisten für Amtsdelikte der Kantonspolizei Zürich geführt.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen die beteiligten Polizisten: «Nach einer polizeilichen Schussabgabe mit Todesfolge leitet die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren wegen des Verdachts der vorsätzlichen Tötung ein», erklärt Erich Wenzinger, Mediensprecher der Oberstaatsanwaltschaft. «Insofern ist dieses Vorgehen Standard in der Schweiz.» Die Ermittler klären nun ab, ob die Schussabgabe verhältnismässig war.

(Lisa Aeschlimann, David Sarasin, Corsin Zander)


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