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Jürg und Karin Schulthess beraten seit 10 Jahren Einzelpersonen und Paare in ihrer Praxis in Uster. (Bild: Christian Merz)

«Es gibt mehrere Deckel zu einem Topf»

Das Ustermer Ehe- und Beratungspaar Karin und Jürg Schulthess ist überzeugt, dass jede Beziehung gerettet werden kann. Wie dies geht, verraten die beiden im Interview.

Jürg und Karin Schulthess beraten seit 10 Jahren Einzelpersonen und Paare in ihrer Praxis in Uster. (Bild: Christian Merz)

Veröffentlicht am: 22.03.2017 – 12.44 Uhr

Mit welchen Problemen kommen die Paare am häufigsten zu Ihnen in die Praxis?

Karin Schulthess: Das ist oft sehr vielschichtig. Häufig geht es darum, dass das Paar sich auseinandergelebt hat. Es geht um Kommunikation, die nicht mehr gut ist, um Sexualität, die nicht mehr so ist, wie der eine oder die andere es sich wünscht.
Jürg Schulthess: Leider kommen die Paare meist sehr spät zu uns. Häufig liegen den Problemen sehr tief liegende Geschichten zugrunde, etwa, dass der ungelöste Streit der eigenen Eltern in der Beziehung mit dem Partner ausgetragen wird.

Ist es nicht völlig logisch, dass man sich in einer langjährigen Beziehung zumindest zwischenzeitlich auseinanderlebt?

Karin Schulthess: Ich glaube, es gehört dazu, dass es mal eine grössere Distanz oder ein Tief gibt. Aber eine Art Grundliebe kann trotzdem da sein. Es ist mehr der Gefühlsmoment, der schwankt.
Jürg Schulthess: Ein Distanz­gefühl kann auch wegen der Unterschiede zwischen Mann und Frau entstehen oder wegen Unterschieden in der Persönlichkeit. Häufig geht es dann darum, zu verstehen, was man selber für eine Liebessprache spricht – und zu akzeptieren, dass der andere vielleicht anders tickt.

Also geht es bei der Beziehungsarbeit darum, zu verstehen, wer man selber und wer der andere ist?

Jürg Schulthess: Genau. Es heisst ja, liebe deinen nächsten wie dich selbst. Den anderen zu lieben, fällt vielen einfacher als
sich selbst zu lieben. Dabei ist dies eine grosse Voraussetzung, dass man Liebe wirklich weitergeben kann. Und je mehr jemand in seinem Selbstwert gesättigt ist, umso eher kann er auch einmal den anderen tragen, wenn es schwierig ist.

Haben denn die meisten Paare, die zu Ihnen kommen, ein ­geringes Selbstwertgefühl?

Karin Schulthess: Ja, das ist oft ein Thema. Wenn jemand kein grosses Selbstwertgefühl hat, traut er sich meist auch weniger, es zu sagen, wenn etwas nicht passt. Und wenn jemand nur schluckt, über Jahre, kann sich einiges aufstauen. Irgendwann kommt das Ganze raus, aber dann meist nicht auf eine gute Art.

Wieso können die Unter­schiede zwischen Mann und Frau für eine Beziehung schwierig sein?

Karin Schulthess: Ein Beispiel: Eine Frau sagt ihrem Mann, dass das Essen um 18 Uhr bereit ist. Als er um 18.15 Uhr nicht zu Hause ist, wird sie nervös, um 18.30  Uhr ist sie dann schon ziemlich wütend und um 19 Uhr, wenn er dann tatsächlich kommt, ist sie stinksauer. Und vor allem denkt sie: Wenn er mich lieben würde, wäre er pünktlich. Die Frau münzt schnell alles auf Liebe.

Jürg Schulthess: Beim Mann geht es meist relativ lange, bis er sich fragt, ob seine Frau ihn noch liebt. Einmal kam ein Ehepaar zu uns, da hat der Mann nicht ­gemerkt, dass die Frau kurz vor dem Auszug steht. Frauen haben einen grossen Liebestank und können sehr viel Liebe geben. Aber dieser Tank hat auch eine grosse Öffnung, welche die Liebe für den Partner schnell «abfliessen» lässt. Es liegt in der Verantwortung der Frau, den Tank nicht gleich aufzumachen und zu leeren, wenn es nicht so läuft, wie sie sich das vorstellt. Dies zu ändern, ist viel Arbeit.

Doch gewisse Erwartungen darf man aber schon an den anderen haben – oder nicht? In Ihrem Beispiel: Wenn man um 18 Uhr abgemacht hat und jemand erst eine Stunde später kommt, ist es doch ­legitim, wütend zu sein.

Karin Schulthess: Klar, das ist es. Aber es lohnt sich, die Situation genauer anzuschauen. Vielleicht kommt der Mann zu spät, weil er einen alten Freund getroffen hat. Wenn die Frau die Gründe sieht, kann sie versuchen, nicht gleich zu denken, dass er sie zu wenig liebt. Da lohnt es sich auch, das Thema der unterschiedlichen Typologien der Partner anzuschauen.

Was meinen Sie damit?

Jürg Schulthess: Wir arbeiten je nach Situation mit verschiedenen Methoden. Der Tiefenpsychologe Fritz Reimann etwa hat vier Grundtypen von Menschen in Beziehungen definiert: den Freiheits-, den Beziehungs-, den Beständigkeitstyp – das ist eher der Traditionsbewusste –, und den Eigenständigen, der eher mal auf Distanz geht.

Wenn nun jemand, der sehr viel Nähe braucht, mit jemandem zusammen ist, dem seine Freiheit sehr wichtig ist – heisst das, man passt nicht zusammen?

Karin Schulthess: Nein, es ist nicht so, dass man möglichst ähnlich sein muss. Ohnehin trägt jeder Mensch Eigenschaften aller Typen in sich. Bei den einen Konstellationen gibt es vielleicht mehr Reibungspunkte. Aber wenn man die Verschiedenartigkeit des anderen versteht und darin vielleicht sogar eine Faszination sehen kann, kann dies gut funktionieren.

Jürg Schulthess: Es kann aber auch sein, dass man merkt, dass man in einem Bereich ein falsches Ziel verfolgt. Dann kann man eine Lebensstilkorrektur vornehmen.

Eine Lebensstilkorrektur?

Jürg Schulthess: Also wenn ich zum Beispiel denke, ich kann nur glücklich sein, wenn ich erfolgreich bin, ist dies eine Lüge. Da lohnt es sich, genauer hinzuschauen und eine neue Ausrichtung zu finden. Das geht teil­weise sehr tief ins Herz und kann in einer Beziehung zur Folge ­haben, dass es weniger Machtkämpfe gibt, weil der eine merkt, dass er nicht immer gewinnen muss.

Es klingt so, als ob Sie denken, man kann fast jede Beziehung retten. Glauben Sie nicht daran, dass es nur einen Deckel pro Topf gibt?

Jürg Schulthess: Ich finde es sehr schwierig, dies zu beantworten. Grundsätzlich glaube ich, dass man mit fast jedem Partner durchs Leben gehen könnte. Das ist jetzt aber heikel, wenn ich das sage. Da hat meine Frau ja noch das Gefühl, sie sei nicht meine einzige (blickt seine Frau an und lacht).

Karin Schulthess: Ich glaube schon auch, dass es verschiedene Deckel zu einem Topf gibt. Aber vielleicht dichtet der eine ein bisschen besser ab, und der andere ist viel zu gross. Aber auch dann: Wenn beide wollen, findet man einen Weg. Nur ist er vielleicht etwas steiniger.

Was aber, wenn einer denkt, es passt überhaupt nicht?

Jürg Schulthess: Ich glaube, wenn man dies denkt, ist schon vieles kaputtgegangen. Wir hatten aber auch schon solche Beispiele hier, da kam das Paar in zwei Autos, die Scheidungspapiere waren fast schon unterschrieben. Aber beim Coaching konnte so vieles angeschaut und gelöst werden, dass die zwei ihre Liebe wieder neu entdecken konnten und damit quasi der ­Deckel wieder passte.

Das heisst, ihr geht davon aus, dass man den Deckel vergrössern oder verkleinern kann durch Coaching?

Karin Schulthess: Ja, das entspricht genau unserem Bild. Ich glaube, dass jedes Paar die Fähigkeit hat, zu sagen: Okay, der Deckel ist zwar zu klein, aber wenn wir miteinander arbeiten, können wir zusammen etwas ­dafür tun, dass er wieder passt.

Wie haben Sie es beim Quasi-Scheidungspaar wieder hingekriegt?

Karin Schulthess: Es ging sicher darum, genau hinzuschauen. Beide mussten an sich selber arbeiten und die Bereitschaft zeigen, etwas zu verändern. Bei vielen Paaren geht es darum, die Fremdwahrnehmung zu schulen. So, dass man nicht nur an seine eigenen Verletzungen denkt, sondern anfängt zu realisieren, was das eigene Verhalten beim anderen auslöst. Wenn beide etwas feinfühliger werden, ist bereits ein grosser Schritt getan.

Gibt es auch Fälle, in denen eine Trennung besser ist?

Jürg Schulthess: Ja, wenn Gewalt oder emotionale Erpressung im Spiel sind oder wenn jemand psychisch krank ist, sodass keine Beziehungsfähigkeit mehr da ist. Das sind aber Extremfälle. Viel öfters höre ich, dass man zwar eine Beziehung hat, sich aber nicht ganz sicher ist, ob es wirklich passt. Genaue Gründe gibt es oft nicht.

Jürg Schulthess: Ja, aber dann geht es doch eher um die Frage: Was passt bei mir nicht? Und hier kommt genau wieder diese Eigenliebe zum Tragen.

Wie verhelfen Sie Ihren Klienten zu mehr Eigenliebe?

Karin Schulthess: Es geht darum, dass sie sich mit den eigenen Fehlern versöhnen.

Wie geht dies?

Jürg Schulthess: Das kann man nicht so pauschal sagen. Manchmal muss man sich mit Leuten versöhnen oder mit der eigenen Vergangenheit. Wir hatten ein Ehepaar, das alles aufgeschrieben und die Zettel dann verbrannt und sich gegenseitig vergeben hat.

Thema Sex: Was ist das häufigste Problem?

Karin Schulthess: Meist ist es so, dass einer der beiden nicht mehr so das Bedürfnis danach hat.

Jürg Schulthess: Die Männer sind oft einfacher gestrickt, was dies angelangt. Sie wollen mehr Sex und können auch über den Sex gewonnen werden. Dies wird manchmal von Frauen als Manipulationsmittel verwendet im Sinne von: Wenn du mir dieses oder jenes nicht gibst, gibt es auch keinen Sex mehr.

Und dies wird in Ihrer Praxis besprochen?

Karin Schulthess: Ja, weil es ge­rade bei diesem Thema hilfreich ist, wenn jemand da ist und den Paaren hilft, darüber zu reden. Denn oft getraut sich einer der beiden nicht, alles auszusprechen. Mit Fragen können wir ­ihnen aufzeigen, was sie wirklich wollen und wie sie ihr Problem lösen können.

Was raten Sie – dass der Sex auch in langjährigen Beziehungen aufrechterhalten werden sollte, zum Beispiel mit fixen Dates?

Jürg Schulthess. Wir geben da keine generellen Ratschläge, das muss jeder für sich herausfinden. Ein Paar hat sich entschieden, den Sex mit Kreuzen in der Agenda zu markieren. Das wäre jetzt nicht so mein Ding, aber für das Paar stimmte es.

Karin Schulthess: Sex gehört in die Ehe. Es ist das, was ein Paar am tiefsten verbindet, dort, wo man eins werden kann. Diese Nähe kann man nur beim Sex ­erleben.

Sie sagten am Anfang, dass viele Paare das Problem haben, sich auseinandergelebt zu haben. Gibt es etwas, was ein Paar dagegen tun kann?

Karin Schulthess: Man kann dem sicher entgegenwirken. Oft fängt es an, wenn ein Kind hinzukommt und die Zweisamkeit abnimmt. Genau dann ist es wichtig, die Ehe bewusst zu pflegen. Sich Auszeiten zu nehmen. Zum Beispiel können die Eltern sich abends Zeit füreinander nehmen, wenn das Kind im Bett ist. Sie können Kerzen anzünden, den Tisch schön decken, einen guten Wein aufmachen und eine Pizza bestellen. Wenn man will, ist vieles möglich – aber man muss dranbleiben.

Hatten Sie beide auch schon eine Ehekrise?

Jürg Schulthess: Nie (lacht).

Karin Schulthess: Wir hatten auch schon ein Tief, und es gibt ab und zu mal Diskussionen, aber wir hatten nie eine Krise im Sinn von: Ich will nicht mehr.


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