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Schloss Wartegg in Rorschacherberg. (Bild zvg)

Eine Verspätung zur rechten Zeit

Nicolas Lindt aus Wald ist weit über die Kantonsgrenze hinaus bekannt – als Gestalter von Trauritualen ebenso wie als Buchautor und Kolumnist. Auf Züriost berichtet er in seiner Kolumne von Begegnungen bei Trauungen, Taufen oder auch Abschieden. Diesmal über eine Trauung auf Schloss Wartegg im Rorschacherberg, die mit Verspätung begann...

Schloss Wartegg in Rorschacherberg. (Bild zvg)

Veröffentlicht am: 28.08.2016 – 09.03 Uhr

Ich fahre rechtzeitig los, glaube die Zeit und das Steuer im Griff zu haben – bis ich auf meiner Fahrt durch die Ostschweiz in einen unfallbedingten Autobahnstau gerate und während 20 langen, langen Minuten rettungslos festsitze.

Als sich der Stillstand aufzulösen beginnt, presche ich los und verbringe den Rest der Fahrt auf der Überholspur. Ich mache viele Minuten wett, doch erreiche ich Schloss Wartegg in Rorschacherberg erst um 17.10 Uhr. Um 17.00 Uhr hätte die Trauung beginnen müssen. Ich ziehe mich auf dem Parkplatz um, eile schuldbewusst an den wartenden Hochzeitsgästen hinauf in den Saal, begrüsse den erleichterten Bräutigam, die Gäste nehmen die Plätze ein, ich gebe dem Pianisten das Zeichen, er greift in die Tasten, und vom Vater begleitet erscheint die Braut. Es ist 17.15. Während noch immer Musik erklingt, ordne ich meine Notizen, dann trete ich vor die Hochzeitsgesellschaft, atme noch einmal durch – und wechsle dann von der Hektik der Zeit in die Zeitlosigkeit einer grossen Liebe.

Staunend erlebe ich, wie es mir wider Erwarten gelingt, den hinter mir liegenden Wettlauf vergessen zu können und sogleich in den Fluss der Zeremonie einzutauchen. Ich bilde mir aber nichts darauf ein. Die Fähigkeit, umzuschalten, hat in diesem Fall nichts mit Können zu tun. Sondern mit der Regie des Himmels, der die richtigen Prioritäten setzt.

Wenige Tage nach der Hochzeit erhalte ich vom Bräutigam überraschende Post. Er schreibt mir:

«Deine Verspätung hatte übrigens durchaus positive Aspekte: Mehrere Gäste waren ebenfalls ins Verkehrschaos involviert und sind ebenfalls erst um 17 Uhr angekommen. Wärst du im Verkehr nicht steckengeblieben, hätten sie einen Teil der Trauung verpasst. Ursprünglich planten wir zudem, um 17.50 Uhr Tauben fliegen zu lassen. Dies wäre bei einem pünktlichen Erscheinen deinerseits gar nicht möglich gewesen, weil während der Trauung, wie du weisst, ein Gewitterregen über dem Schloss niederging. Genau nach der – verspäteten – Trauung jedoch hörte es auf zu regnen, und wir konnten die Tauben fliegen lassen. Als wir dann ins Schloss zurückwechselten, fing der Regen noch einmal an. Für die Tauben erwischten wir genau diese regenfreie Lücke. Auch dank deiner Verspätung!»

Ich bedanke mich für die Zeilen des Bräutigams, die mich sozusagen vollumfänglich entlasten. Aber ich entschuldige mich doch noch einmal, und ich meine es auch. Ich hätte früher losfahren müssen, ich gebe es zu. Denn das Schicksal, das mit meiner Verspätung so gnädig war, soll man nicht leichthin herausfordern. Im Regen wollen Tauben nicht fliegen.


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